Eisblut

Chirurg
gearbeitet hat, sondern auch wegen eines Rippenbruchs behandelt worden war,
konnten wir das verifizieren. Der ermittelte Todeszeitpunkt liegt bei gestern
Nachmittag zwischen vierzehn und fünfzehn Uhr dreißig. Alles, was ich hier
sage, ist erstmal unter Vorbehalt, wie ihr wisst. Es stehen noch
Laborergebnisse aus, die den ein oder anderen Fakt erhärten oder spezifizieren
können.«
    Sie nahm einen Schluck Rotwein und kaute ihn kurz. »Aber weiter im
Text. Größe, Gewicht, Mageninhalt und Genaueres über den allgemein sehr
schlechten körperlichen Zustand der Leiche, übrigens Leberzirrhose im
Spätstadium, das könnt ihr alles in Mohsens Bericht nachlesen. Wesentlich ist
im Moment, Dassau starb indirekt an den Folgen erheblicher Brandverletzungen.«
    Volker wollte nachfragen, doch Karen wehrte ihn ab: »Wartet ab.
Brandwunden. Dehydratation, Wundödeme, Eiweißdenaturierung. Dabei sind die
systemischen Wirkungen wie Schock, Infektion und Verletzung der Atemwege in den
meisten Fällen lebensbedrohlicher als die örtlichen Verletzungen. Den
Schweregrad der Verbrennungen haben wir anhand des Ausmaßes des betroffenen
Gewebes festgestellt. Überraschen wird euch vermutlich, dass die Verbrennungen
nicht so schlimm sind, wie es euch beim Auffinden der Leiche vorgekommen sein
mag. Wenn der Körper mit Benzin übergossen und dann angezündet worden wäre,
dann wäre das Gewebe viel tiefgehender geschädigt. Und wir haben keine Spuren
von Brandbeschleunigern gefunden, weder von Benzin noch einer ähnlichen
Substanz.«
    Â»Was heißt das? Ist der Kerl mit Kerzen oder Feuerzeug so
zugerichtet worden? Das kann ich mir kaum vorstellen.« Eberhard besah sich ein
Foto der Leiche vom Fundort.
    Â»Nein, für eine Kerze sind die Verbrennungen zu großflächig. Ich
denke eher an einen kleinen Flammenwerfer …«
    Â»â€¦Â oder einen Bunsenbrenner«, ergänzte Volker.
    Karen nickte. »Dazu kommt noch, und deswegen habe ich eben auf den
ersten Blick gesagt, dass Brandverletzungen durch thermische, chemische und
auch elektrische Kontakte verursacht werden können. Bei Georg Dassau liegt eine
Kombination vor aus thermischen und elektrischen Ursachen. Wie ihr wohl alle
wisst, kann ein Elektroschlagstock eine Hitzeeinwirkung von bis zu fünftausend
Grad Celsius ausüben. Es wurde jedenfalls mit Stromstößen gearbeitet. Wir
haben, genau wie bei Uta Berger, Hinweise auf typische physiologische Störungen
gefunden, Muskelkontraktionen, Herzschädigungen durch Kammerflimmern … Scharf
demarkierte Verbrennungen der Haut, die sich im Gegensatz zu den thermisch
verursachten bis in die untersten Gewebeschichten ausdehnen, Nekrosen der
Muskulatur, Gefäßthrombosen, Sehnenrisse … Elektrizität wurde angelegt im Mund,
in der Harnröhre und den Achselhöhlen. Schließlich kam es zum Herzstillstand,
die direkte Todesursache. Georg Dassau erlitt weder Vergewaltigung noch
Schnittverletzungen. Er wurde, wenn man Uta Bergers durchlittene Qualen zum
Maßstab nimmt, sorry, aber lediglich gegrillt. Ein grauenvoller Tod, aber
leichter als der von Uta Berger. Und aufgrund der schwachen körperlichen
Gesamtkonstitution vermutlich auch erheblich schneller.«
    Karen lehnte sich zurück und trank einen Schluck Wein, während die
anderen stumm die Fotos der Obduktion betrachteten. Nur Daniel fummelte
abwesend auf seiner Tastatur herum. Er war blass um die Nase geworden.
    Â»Okay. Was hast du rausgefunden, Daniel?«, wollte Christian wissen.
    Dankbar für den Themenwechsel, nahm Daniel seine Augen vom Laptop,
vermied es aber weiterhin, die Fotos auf dem Tisch anzusehen. »Alles
vergleichsweise langweilig«, begann er.
    Â»Die beiden Iraner aus der Hamburger Orientalistik sind so sauber
wie ein neugeborenes Baby. Ahmad Khodakarami, Utas schwuler Kommilitone, den
sie mal mit zum Theater geschleppt hat, wurde in Deutschland geboren, Sohn
einer liberalen Intellektuellenfamilie. Er ist komplett unauffällig. Nicht mal
ein Ladendiebstahl während der Pubertät. Kouros Mossadeqh, der Persisch-Dozent,
könnte man als echten Gutmenschen bezeichnen. Sein Vater war zwar
Schah-Anhänger und hat das Land nach dem Machtwechsel verlassen, aber der ist
schon seit 1986 tot. Der Sohn ist Mitherausgeber einer auflagenschwachen
Unizeitung, die Völkerverständigung und vor allem einen modernen und
gewaltfreien