Eischrysanthemen
daran. „Mir läuft es noch immer kalt den Rücken runter, wenn ich an ihn denke“, murmelte sie in ihre Tasse, was Vincent ihr nicht verübeln konnte. Andrews war ein windiger Journalist, obwohl er die Bezeichnung Journalist nicht gerade verdiente. Er war eher ein Schnüffler, der Skandale liebte, weil sie rasch Geld einbrachten.
„Und dabei mochte er dich doch so sehr ...“, fügte Vincent leise hinzu und fing sich einen Tritt unter dem Tisch von Mariannes zartem Füßchen ein.
„Anstatt von diesem lächerlichen Schmierfinken zu sprechen, erzähl mir lieber, wie es mit deinem Kabuki Schauspieler läuft.“ Ohne es zu ahnen, traf Marianne einen wunden Punkt. Vincents Lächeln erlosch. Er stand auf und brachte den Teller mit Muffinkrümeln zum Spülbecken.
„Nicht so gut. Er ist ... schwieriger, als ich dachte und ...“ Vincent stockte, und entschied sich dagegen Marianne alles zu erzählen. „Er ist einfach kapriziös und zieht alles in die Länge. Heute Nachmittag bin ich wieder mit ihm verabredet.“
„Vielleicht solltest du ihm Blumen mitbringen. Wie wär’s mit Chrysanthemen? Ich habe gelesen, dass sie eine tiefere Bedeutung für Kabuki haben sollen.“ Mariannes Heiterkeit war wieder zurückgekehrt, und Vincent drehte sich zu ihr um, die Arme vor der Brust verschränkt.
„Ähm, Blumen? Ich glaube, dann müssten das Chrysanthemen aus Eis sein, denn das wäre das Einzige, was zu seinem kühlen Charakter passen würde“, entgegnete Vincent etwas unüberlegt. „Außerdem, warum sollten gerade Chrysanthemen etwas mit Kabuki zu tun haben?“ Er konnte sich nicht erinnern, etwas über Chrysanthemen bei seinen Recherchen gelesen zu haben. Nun interessierte es ihn aber und er war auf die Antwort gespannt, die Marianne ihm geben würde.
„Sie sind schön, vergänglich, zart und stehen für Sex.“ Marianne schnurrte die letzten Worte schon fast und zwinkerte, als Vincent sie verständnislos anblickte. „Denk an die Blüte, wenn man von oben draufguckt.“
Endlich fiel bei Vincent der Groschen.
„Das ist kein Thema, über das ich mit ihm sprechen möchte“, erwiderte Vincent zugeknöpft.
„Glaub mir, selbst die Leser des hochgelobten Kulturmagazins würden am Ende doch lieber etwas über Sex lesen. Außerdem wäre es mal interessant zu erfahren, was für ein Sexualverhalten ein Mann hat, der nur Frauenrollen spielt. Fragst du ihn für mich?“ Diese unverschämte Frage ließ Vincent erröten, die Antwort kannte er bereits.
„Vergiss es! Und jetzt mach, dass du wegkommst. Ich muss noch was vorbereiten, bevor ich meinen Quälgeist besuche.“ Eigentlich hatte Vincent mehr als genug Zeit, aber Mariannes Kommentar hatte Vincent einfach aus der Fassung gebracht. Lachend verließ Marianne die Wohnung, während Vincent seine Gedanken um Kira kreisen ließ.
Der hätte ihn abfüllen und die Unterlagen auch so an sich nehmen können. Er hätte sich sogar noch nackt zu Vincent ins Bett legen können, um ihm am nächsten Tag vorzugaukeln, dass etwas passiert war. Aber Kira hatte den direkten Weg gewählt und keine halben Sachen gemacht. Entsprach das wirklich seinem Charakter, dass er alles mit vollem Eifer tat? Das würde die Vollkommenheit seiner Illusion auf der Bühne erklären, aber konnte man so sein ganzes Leben ausrichten? Musste man dann nicht früher oder später an den Anforderungen zerbrechen?
Genau diese Frage beschäftigte Vincent noch immer, als er das Hotel erreichte. Er fuhr mit dem Fahrstuhl nach oben und klopfte an die Zimmertür, die er wohl nie mehr im Leben vergessen würde. Warum er sich gerade die Zimmernummer während seiner Flucht gemerkt hatte, wusste er selbst nicht, aber es verhinderte, dass er unten an der Rezeption nachfragen musste.
Nach einem kurzen Anklopfen öffnete sich die Tür. Kira stand vor ihm und wirkte einen Moment schon fast nachdenklich, bevor er zur Seite trat und Vincent schweigend einließ.
„Hast du nicht erwartet, dass ich komme?“ Er legte seine Sachen auf einem der Sessel ab, auf dessen Armlehne ein weißer Frotteebademantel lag, und blieb mit dem Rücken zum Schlafzimmer stehen, um bloß keinen Blick auf das Bett zu werfen, welches dort stand. Es war eine Sache, sich zu erinnern, aber eine andere den Ort des Geschehens sehen zu müssen. Vincents Magen verkrampfte sich etwas, als er sich setzte und zusah, wie Kira neben dem anderen Sessel stehen blieb.
„Ich habe in der Tat gedacht, dass du vielleicht nicht kommen würdest“, sagte er mit
Weitere Kostenlose Bücher