Eisenhand
mußten. Soviel zu meiner Reiseplanung. Massilia ist, in meinen Augen, ein fauliger Abszeß am empfindlichsten Zahn des Imperiums.
»Das sind aber rauhe Sitten hier, Falco!« klagte Xanthus, als wir uns durch die Flut spanischer Ölverkäufer, jüdischer Geschäftsleute und ungewaschener Weinhändler aus allen Landen boxten, die um ein Bett in einer der nicht ganz so verrufenen Herbergen kämpften.
»Massilia ist seit sechshundert Jahren griechische Kolonie, Xanthus. Die Stadt hält sich noch heute für die schönste westlich von Athen, aber sechshundert Jahre Zivilisation haben nun mal eine deprimierende Wirkung. Hier gibt’s Olivenhänge und Weingärten, einen stolzen, auf drei Seiten vom Meer umspülten Hafen und ein faszinierendes kulturelles Erbe – aber in den Straßen ist kein Durchkommen vor lauter fliegenden Händlern, die einem billige Töpfe und kitschige Statuen von drallen Gottheiten mit komischen Kulleraugen andrehen wollen.«
»Sie sind schon mal hier gewesen?«
»Übers Ohr gehauen worden bin ich hier! Übrigens, wenn du essen gehen willst, dann ohne mich. Wir haben noch einen weiten Weg vor uns, und ich will meine Kräfte nicht aufs Spiel setzen und mir an einer Schüssel heimischer Garnelen die Darmfäule holen. Laß dich nicht mit den Massiliensern ein – und mit den Touristen genausowenig!«
Mit hängendem Kopf machte sich der Barbier auf die Suche nach etwas Eßbarem.
Ich ließ mich unter einer sehr mickrigen Öllampe zum Kartenstudium nieder. Ein Vorzug der Reise war der, daß der Palast mich mit einem Satz erstklassiger militärischer Wegverzeichnisse für alle größeren Straßen ausgerüstet hatte – dem stolzen Resultat siebzigjährigen römischen Wirkens in Zentraleuropa. Es waren nicht nur Meilenanzeiger zwischen den Städten und Kastellen, sondern solide und detaillierte Reiseführer mit Anmerkungen und Diagrammen. Trotzdem würde ich mich mancherorts auf meinen Instinkt verlassen müssen, denn zum Beispiel östlich des Rheins zeigten die Karten beängstigend große weiße Flächen: Germania Libera … Unendlich weite Gebiete, die »frei« vom wirtschaftlichen Einfluß Roms waren; dort galten weder römisches Recht noch Gesetz. Und hier ausgerechnet lauerte die Seherin Veleda und hielt sich wahrscheinlich auch Civilis versteckt.
Auch das Grenzland war ziemlich unsicher. In Nordeuropa wimmelte es von Nomadenstämmen, die dauernd – und manchmal sehr zahlreich – auf der Wanderschaft waren. Seit Julius Cäsars Zeiten versuchte Rom, befreundete Stämme gruppenweise so anzusiedeln, daß sie Pufferzonen bildeten. Unsere Provinzen Ober- und Untergermanien bildeten längs des Rheins einen militärischen Korridor zwischen den befriedeten gallischen Landen und den riesigen, unerforschten Weiten des Ostens. Jedenfalls war das bis zum Bürgerkrieg so gewesen.
Nachdenklich studierte ich meine Karte. Hoch im Norden, oberhalb von Belgica, im Mündungsgebiet des Rheins, lag die Heimat der Bataver mit der Festung, die sie »Die Insel« nannten. Den ganzen Rhein entlang standen die römischen Kastelle, Wachtürme und Feldpoststationen, mit deren Hilfe wir Germanien unter Kontrolle hielten; die meisten kleineren Stützpunkte waren von dem Schreiber, der die Karten für mich auf den neuesten Stand gebracht hatte, sauber durchgestrichen worden. Der nördlichste Außenposten war Noviomagus, wo Vespasian ein neues Lager bauen wollte, um die Bataver in Schach zu halten; vorläufig freilich war es bloß ein Kreuz auf der Karte. Dann kam Vetera, der Schauplatz jener grausamen Belagerung; es folgten Noväsium, dessen hasenfüßige Legion zu den Rebellen übergelaufen war; Bonna, das von den Bataverkohorten der Vierzehnten mit furchtbarem Gemetzel überrannt worden war; und Colonia Agrippinensium, das die Aufständischen zwar gestürmt, aber aus strategischen Gründen verschont hatten (außerdem hatte Civilis, soviel ich weiß, Verwandte dort). An der Mosella lag Augusta Treverorum, die Hauptstadt des Stammes der Treverer, wo Petilius Cerialis die Rebellen vernichtend geschlagen hatte. Und da, wo der Moenus in den Rhein mündete, lag endlich mein Etappenziel: Moguntiacum, die Hauptstadt von Obergermanien. Vom großen gallischen Kreuz bei Lugdunum aus führte die Straße direkt dorthin.
Oder aber ich bog bei Cavillonum von der Hauptstraße ab und näherte mich Obergermanien von weiter südwärts her – was sich leicht mit dem Vorwand rechtfertigen ließ, ich müsse mich erst langsam akklimatisieren.
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