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Eisenhand

Eisenhand

Titel: Eisenhand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lindsey Davis
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mich wieder um und musterte das Kind, das nicht hübsch war, dafür aber ein bockiges Gesicht machte. Sein Haar war zu fünf, sechs Rattenschwänzchen geflochten und oben auf dem Kopf mit einem fadenscheinigen Tüchlein zusammengebunden. Mein Hirn mühte sich ab, herauszufinden, wessen spitzbäuchiger kleiner Fehltritt dies wohl sein mochte und in welchem Verhältnis es zu mir stand. Denn die Kleine stammte zweifelsohne aus unserer weitläufigen Verwandtschaft. Die Götter allein mochten wissen, wie sie nach Obergermanien geraten war, aber ein Mitglied des fruchtbaren Didius-Klans erkannte ich auf den ersten Blick, auch ohne daß es mir die vertraute Ausrede vorheulte: »Ich hab bloß gespielt – das Ding ist von ganz allein umgefallen!«
    Sie reichte mir bis zur Hüfte, trug eine Tunika, an der eigentlich nichts auszusetzen gewesen wäre, hätte sie es nicht geschafft, den Rock so hochzuziehen, daß ihr Popo darunter hervorlugte. Damit war der Fall klar; ich wußte, wen ich vor mir hatte. Augustinilla. Ein hochtrabender Name, aber eine äußerst unkomplizierte Persönlichkeit – Frechheit mit Dummheit gepaart! Sie war das unausstehlichste Kind meiner bestgehaßten Schwester Victorina.
    Victorina war die älteste von uns Geschwistern, der Fluch meiner Kindheit und in späteren Jahren diejenige, die mich mit Wonne bis auf die Knochen blamiert hatte. Als Kind war sie eine freche kleine Rotzgöre gewesen, der ständig die Nase lief und der Lendenschurz auf halbmast über den schorfigen Knien hing. Alle Mütter der Nachbarschaft hatten ihren Kindern verboten, mit uns zu spielen, nur weil Victorina so ein Raufbold war. Victorina erreichte trotzdem, daß sie sich mit ihr herumtrieben. Als sie größer wurde, spielte sie nur noch mit Jungs. Die rissen sich um sie. Ich habe nie verstehen können, warum.
    Von allen ungezogenen Kindern, die meine zärtliche Versöhnungsstunde mit Helena hätten stören können, mußte es ausgerechnet eins von Victorinas Blagen sein.
    »Onkel Marcus hat ja gar nichts an!« Wie sollte ich auch, wenn die Tunika, die Helena sich übergeworfen hatte, als sie zur Tür rannte, meine war. Zu der hübschen Bernsteinkette paßte sie freilich überhaupt nicht. Diese eigenwillige Kombination nährte nur den Verdacht, daß wir in meinem Zimmer ein Bacchanal gefeiert hätten. Die vorwurfsvollen Augen wanderten jetzt von mir zu Helena, doch die Kleine war klug genug, sich jedes Kommentars zu enthalten. Wahrscheinlich hatte Augustinilla aus nächster Nähe miterlebt, wie Helena Justina mit dem wilden Räuberhauptmann umgesprungen war.
    Ich nahm Haltung an und machte auf sportlich; ein Fehler. In einem sonnendurchfluteten Stadion, einen Steinwurf vom Mittelmeer entfernt, mag es Eindruck schinden, wenn einer seine geölten Muskeln spielen läßt, aber in einem spärlich beleuchteten Korridor im unwirtlichen Germanien kriegt man dabei bloß eine Gänsehaut. Niedergeschlagen wartete ich darauf, daß Helena den schon Tradition gewordenen Befehl ausgeben würde: »Marcus, sie ist deine Nichte. Also rede du mit ihr.«
    Sie sagte ihren Spruch her, und ich gab die gleichfalls traditionelle rüde Antwort.
    Helena versuchte, sich ihren Ärger vor dem Kind nicht anmerken zu lassen. »Du bist schließlich das Oberhaupt der Didius-Familie, Marcus!«
    »Nur theoretisch.«
    Das Oberhaupt unserer Familie zu sein war eine solche Strafe, daß mein Vater, dem der Titel von Rechts wegen gebührte, seinen Stammbaum verleugnet, ja, sogar seinen Namen gewechselt hatte, nur um sich der grauenvollen Aufgabe zu entziehen. So war mir die Rolle zugefallen. Das erklärt vielleicht, warum ich den Kontakt zu meinem Papa, dem Auktionator, abgebrochen hatte. Und es erklärt womöglich auch, warum ich keine Hemmungen hatte, einen Beruf zu ergreifen, der den meisten Römern ein Greuel ist. Schließlich war ich daran gewöhnt, mit Flüchen und Verachtung traktiert zu werden; meine Familie hatte das schon seit Jahren getan. Und der Beruf eines Schnüfflers bot den großen Vorteil, daß ich im Untergrund oder besser noch weitab von zu Hause zu tun hatte.
    Vielleicht sind alle Familien so. Vielleicht stammt die Vorstellung, daß die väterliche Autorität für Ordnung und Frieden im Hause sorgt, von ein paar optimistischen Gesetzgebern, die selbst weder Schwestern noch Töchter hatten.
    »Du hast sie hergebracht; also überlasse ich dir auch das Vergnügen, ihr den Hintern zu versohlen«, erklärte ich Helena ungerührt. Ich wußte, daß sie

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