EISENHEIM: THRILLER: Erstes Buch (German Edition)
Besuch zurechtgelegt hatte. Wo waren die anderen, fragte sich General Fomin. Noch nie hatte er im Innenministerium alleine mit einem Verantwortlichen gesprochen. Es gab immer jemanden, der protokollierte, immer jemanden, der zumindest fragte, ob der Herr General etwas zum Trinken haben möchte.
Fomin bekam weiche Knie und zeigte sich dankbar, endlich in dem weichen Sessel Platz nehmen zu
dürfen. Er legte seinen dünnen Aktenordner auf seine Knie und wartete, bis sich der ihm noch namentlich Unbekannte setzte und vorstellte.
„Sie kennen mich noch nicht. Mein Name ist Sergej Kalinin. Ich bin dem neuen Innenministerium unterstellt und nun verantwortlich für diesen Teil unseres Nachrichtendienstes. General, Sie können sich denken, dass augenblicklich alles ein wenig mehr Zeit als sonst braucht, aber die neue Führung in unserem Land muss einige Dinge neu ordnen. Jemand wie Sie, von der alten Garde, weiß natürlich ganz genau, wovon ich spreche, oder General?!“, sagte Kalinin und lächelte sanft den General an.
Neuordnung – das war das Wort, das Fomin einen leichten Stich versetzte. Das war die neue galante Ausdrucksweise, derer man sich nun im Kreml bediente. Noch vor einem Jahr hätte an diesem Schreibtisch ein schwergewichtiger Parteisekretär gesessen, der kettenrauchend unter vielen Dokumenten müde aufgeblickt und Fomin mit einem verständnisvollen Lächeln gleich wieder nach Hause beordert hätte. Sollte doch der KGB machen, was er wollte!
Fomin sah sich verunsichert um. Er hatte kein Problem, sein Anliegen dieser Neuzucht zu übergeben, doch fragte er sich, ob das wirklich alles sein konnte, was die neue Führung aufbrachte?
Es gab keine Zeugen für sein Dasein. Würde er einmal diese Akte aus der Hand geben, wäre er dann wirklich vom Haken? Das Innenministerium hatte eine mit dem KGB untrennbare Geschichte in Russland. Beide waren berüchtigt für Säuberungsaktionen, denen ganze Landstriche zum Opfer gefallen waren. Wie aber arbeitete das neue Innenministerium? Seine Abteilung war nun einer Sonderabteilung des Innenministeriums unterstellt?
General Fomin war nicht blauäugig; natürlich gab es auch gutangezogene Henker in dieser Welt – diese waren wohl die effektivsten.
„Ja, Genosse Kalinin, es war unmöglich, nicht davon zu hören. Ich bin da sehr gespannt, wie es weitergehen wird. Wie heißt es so schön: Alles was neu ist, ist gut!“, sagte General Fomin und suchte nach einer Packung Zigaretten, unterließ es aber schließlich, als ihm auffiel, dass in ungewohnter Weise nicht einmal ein Aschenbecher in seiner Nähe stand. Er lehnte sich zurück in den Sessel und klopfte auf den ledernen Aktenorder auf seinem Schoß, während er noch einmal prüfend seine Blicke durch den Raum wandern ließ. Weit hinter dem Parteisekretär Kalinin gab es einen hohen Spiegel, der in die hölzerne Wandvertäfelung eingebaut gewesen war. Es gab Dutzende dieser Spiegel im Kreml und zum ersten Mal in seinem Leben hoffte General Fomin, dass sich dahinter eine Kamera befand.
„Wir haben ein Problem und die erste Hauptverwaltung ist sich unschlüssig, wie das Problem unter der neuen Parteiführung anzugehen ist!“, sagte Fomin nun mit fester Stimme. Ein Gedanke wie ein Blitz war ihm zuvor in den Kopf gefahren, als er den Spiegel erblickt hatte: Schmier denen Honig ums Maul und verkauf dich, so gut es geht! Das ist deine Chance.
„Das Innenministerium hat mich auf Ihre Sonderabteilung verwiesen. Ich bin beeindruckt!“, fügte Fomin noch ungeschickt an.
„Hat das Problem einen Namen?“, fragte Kalinin.
General Fomin nickte. „Es heißt Generaloberst Kasakov!“
Zum ersten Mal sah Fomin eine Regung in den Gesichtszügen des Sekretärs, die nicht Teil dieser neuen angestrebten Ordnung war, die mit leeren Schreibtischen und Designeranzügen ohne Schulterpolster glänzen wollte.
„Kasakov, Generaloberst der Strategischen Raketentruppen?“ Kalinin legte den goldenen Füllfederhalter aus der Hand, mit dem er eben noch anfangen wollte, Notizen zu machen, und lehnte sich etwas in seinem Sessel zurück.
Fomin nickte angespannt und dachte: Ja, Bürschchen, jetzt vergeht dir das weibische Getue.
„Was genau?“, wollte Kalinin nun wissen.
Fomin klopfte leise auf den Aktenordner, den er mitgebracht hatte: „Es steht alles hier drin!“
Kalinin beugte sich vor und streckte seine Hand über den Tisch. Fomin war überrascht, mit welch wenigen Zweifeln er nun dem jungen Parteisekretär die Akte Kasakov
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