EISENHEIM: THRILLER: Erstes Buch (German Edition)
übergab.
Kalinin öffnete den ledernen Ordner und zog eine Ansammlung von Dokumenten heraus, die er einzeln überflog. Einige Seiten las er genauer, andere wiederum überflog er nur so ansatzweise, als wäre ihm diese Art von Niederschriften sehr vertraut. Kalinin wusste ganz genau, wie er diese Dokumente zu lesen hatte, um rasch den Kern darin zu entmanteln. Fomin fiel dies auf und er zeigte sich imponiert. Kein Dummer, dachte er.
Nach etwa zehn Minuten sah Kalinin auf:
„Ich danke Ihnen, General. Die Sonderabteilung des Innenministeriums wird sich nun darum kümmern. Sie können jetzt gehen.“ Kalinin erhob sich und mit ihm schnellte auch General Fomin überrascht in die Höhe. Er folgte Kalinin zurück zu der Tür, durch die er vor knapp zwanzig Minuten eingetreten war.
General Fomin sah sich noch einmal ungläubig nach Kalinin um, bevor er hinaustrat:
„Das war alles, Genosse?“
Kalinin nickte freundlich und tätschelte beruhigend die Schulter des Generals:
„Das war’s, General!“
Fomin schluckte, setzte sich die Kappe seiner Generalität auf und zog betrübt davon. Es waren diese aalglatten Typen, die gefährlich waren. Das war nicht Russland. Russland war laut und stark. Der General griff nun endlich nach seiner Packung Viceroy und zündete sich gierig eine Zigarette daraus an. Als er endlich alleine durch die langen Gänge des Kremls wanderte und sich das Nikotin besänftigend auf sein Gemüt auswirkte, hatte er einen wohltuenden Gedanken. Es war nur etwas mehr als einen Kilometer bis zurück in die Lubjanka, die Schaltzentrale des KGB. Bald würde er sich wieder in Sicherheit fühlen. Oder auch nicht?
Fomin verließ den Kreml über den Hinterhof. Hier parkten alle Karossen der Führungselite wie auch jene der hochrangigen Besucher. Fomin schritt ein paar Stufen hinab und ging dann auf seinen Wagen zu. Dieser ZIL 4104 wartete bereits mit laufendem Motor unterhalb der Stufen. Sein Fahrer Sergej hatte ihn bereits erwartet. Der General zögerte etwas, während er auf den Wagen zuschritt, überlegte kurz und stieg dann doch hinten in den Wagen ein.
Als Sergej die Kontrollen des Kremls passiert hatte, befahl Fomin Sergej, rechts heranzufahren.
Dann wechselte er ein paar Worte mit Sergej und wies ihn an, alleine zurück in die Zentrale zu fahren. General Fomin erklärte ihm, er wolle die kleine Strecke an diesem schönen Vormittag zurückspazieren. Sergej nickte und setzte die schwarze Karosse wortlos in Bewegung. Es war nicht das erste Mal gewesen, dass der General so einen Wunsch geäußert hatte. Zudem diese Strecke vom Kreml bis zur Lubjanka also nur ein kurzer Spaziergang sein würde.
In seiner eigenen Art, mit Druck umzugehen, fiel dieser nun – während er alleine mit seinen Gedanken sein konnte – wie ein unliebsames Kleidungsstück von General Fomin ab. Er dachte während des Spazierganges über diesen seltsamen Fall „Generaloberst Kasakov“ nach. Das Innenministerium hatte erst seit Anfang des Jahres diesen gewaltigen Druck auf seine Einheit ausgeübt. Diese Art Druck auf den KGB war nicht neu, doch ging dieser Art von Druck bislang immer eine Geschichte voraus, die offenkundig für alle Beteiligten gewesen war.
Das Enkelkind Kasakovs war nicht der Grund dafür, glaubte Fomin. Der Grund, den er nun suchte, verbarg sich hinter der angeblichen Sabotagegeschichte, über die selbst der KGB vom Innenministerium nicht informiert worden war.
Natürlich, Russland war groß, und Generaloberst Kasakov mitunter am anderen Ende der Welt stationiert gewesen, wenn er nicht im Moskauer Ministerium mal hatte vorsprechen müssen.
Und nun war es natürlich ein nicht mehr wiedergutzumachender Fehler, mehr noch ein Schlag in
sein Gesicht gewesen, dass der KGB jetzt erst in Erfahrung bringen konnte, dass die Tochter des Generals, Ekatarina, ein lebendiges Kind zur Welt gebracht hatte. Das Kind war nicht mit der Mutter gestorben!
Fomin führte sich die Zeit vor Ekaterina Kasakovs Tod vor Augen. Nachdem sie von einer ihrer Tourneen, die sie in die Vereinigten Staaten geführt hatte, nicht mehr nach Russland zurückgekehrt war, hatte sich der KGB nur kurz mit ihr in Verbindung gesetzt. Dies war ein üblicher Vorgang, um herauszufinden, ob eine Rekrutierung sinnvoll erschien. In Ekaterinas Fall aber kamen zwei Faktoren zusammen, die deutlich dagegen gesprochen hatten. Zum einen war sie die Tochter eines angesehenen Generals der russischen Militärführung. Keinem westlichen Geheimdienst war dies
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