Eisenherz - Förg, N: Eisenherz
konnte ja nie wissen, was unter der Maske so steckte.
Es war nach dreiundzwanzig Uhr, als Gerhard sich urplötzlich daran erinnerte, sein Handy wieder einzuschalten. Die Mailbox meldete sich augenblicklich. Evi war dran und klang sauer.
»Wo bist du, bitte schön? Bist du am Hexenschuss gestorben? Wir wollten in diese Halle gehen. Baier ist stocksauer. Melde dich.«
Gerhard rief Evi an.
»Der Verschollene. Wie schön, dass du lebst!«
»Evi, sorry. Ich bin in einer knappen Stunde in der Halle.« Gerhard war wirklich zerknirscht.
»Wie bitte?«
»Frag jetzt nicht. Komm einfach«, sagte Gerhard eindringlich.
»Um Mitternacht? Hast du sie noch alle?«
»Evi, bitte! Ich erklär dir das später. Was ist mit Baier?«
»Was, mein lieber Herr Weinzirl, wird wohl mit ihm sein? Er wird im Bett sein.«
Sie zischte noch ein »Idiot« hinterher, das Gerhard gerade noch so hörte. Er fuhr Rekordzeit. Es war fünf vor zwölf, als er die Halle erreichte.
Weilheim
Evi lehnte im Türrahmen. Baier auch. Anscheinend hatte Evi ihn doch angerufen. Baier sprach ausnahmsweise sehr leise.
»Weinzirl, so etwas haben Sie genau einmal gemacht. Genau einmal. In einer laufenden Ermittlung sind Sie zu erreichen. Tag und Nacht. So, und jetzt pack mers.«
Sie eilten die Treppe hinauf in die Bar, wo der Herr Besitzer gerade mit einer Frau in einem rosa Abendkleid flirtete.
»So, Sie wollten uns doch ein Liste zusammenstellen mit all jenen, die während des Shootings immer mal wieder ihr Interesse an der Fotokunst gezeigt haben?« Gerhard verlieh seiner Stimme einen gefährlichen Klang.
»Habe ich gemacht. Aber ich bitte Sie da wirklich um Diskretion, die Herren, also, sie stehen im Blickpunkt, also …«
Ja, ja, Gerhard konnte sich gut vorstellen, dass dieser Club der Foto-interessierten Ehrenmänner im Landkreis im Blickpunkt stand. Die Großkopfeten kannten sich alle. Schmoll war so ein Exemplar. Und wenn die Ehefrauen der anderen Männer auch nur halb so dramatisch waren wie die schöne Maria aus Mechico, dann hatten die nichts zu lachen, wenn’s die Damen erfahren würden. Von Geschäftsleuten und der Kleinstadt-Schickeria mal ganz abgesehen. Das würde Gesprächsstoff geben im Salut, wo Weilheims Möchtegern-High-Society plus Adabeis gerne saß.
»Die Liste!«
»Ja, ich hol sie.«
Gerhard war an die Brüstung des Balkons getreten und sah hinunter ins Getümmel. Die Red Sina Band spielte alte Kracher, und das Tanzvolk versuchte sich am Jive. Mal abgesehen davon, dass bis auf ein alertes Pärchen, das sicher weit in den Sechzigern war – sie in Tiger-Print-Hose, er glatzköpfig und mit Telly-Savalas-Lolly – keiner Jive konnte, war das Bild, das sich Gerhard bot, ein Panoptikum der Modesünden. Frauen steckten in Cocktailkleidern, die aussahen, als hätte jemand knittriges Bonbonpapier um die Bedauernswerte gewickelt. Neben den unvermeidlichen Landhaus-Leinen-Kurzdirndln mit quellenden Oberweiten und Krautstamper-Waden war die Herrenmode eintöniger. Plastikhemden in Designs, von deren Existenz Sweatshirt-Gerhard noch nicht einmal geahnt hatte. Stoffhosen dazu, knitterfrei und garantiert frei von Naturfasern. Garantiert feuerfest, Bayers gesamtes Chemiewissen in Hosenform.
Ein Mann trat neben Gerhard. Unter seiner Hakennase puschelte ein Schnauzbart. Sein Hemd war auberginefarben, gaukelte Satin vor und biss sich mit der gelben Lederkrawatte. Wieso hatte niemand nach den Siebzigern so was auf einem gewaltigen Klamotten-Scheiterhaufen verbrannt?
Inzwischen wurde die Liste präsentiert, und bei der Lektüre pfiff Baier ein paar Mal durch die Zähne. Sie war sehr ordentlich nach Tagen gestaffelt. Geschäftsmänner, Kreisräte, Bürgermeister standen drauf. Eines war besonders interessant: Laut Liste war Schmoll am Sonntag da gewesen und nochmals am Dienstag. Und an jenem Dienstag war auch ein ihnen wohl bekannter Bürgermeister vor Ort gewesen.
»Sind Sie sicher, dass Schmoll und der Herr Bürgermeister genau an diesem Dienstag da waren?«, fragte Gerhard.
»Natürlich. Als ich gegangen bin, waren noch fünf Männer da. Darunter der Schmoll und der Bürgermeister. Der Schmoll wirkte ziemlich gestresst und hat ein paar Mal versucht, Lutz bei seiner Arbeit zu unterbrechen. Das geht natürlich nicht«, er machte eine exaltierte Handbewegung, »einen Künstler kann man doch nicht mitten im kreativen Prozess stören.«
Anscheinend hatte der Mann beschlossen, lieber seine Kumpels anzuschwärzen, als selbst dran zu
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