Eisenherz - Förg, N: Eisenherz
meine Träume bearbeiten und meine Chakren ins rechte Lot zu bringen gedenken. Die behaupten, ein Medium zu sein, das zwischen mir und meinem Schutzengel vermitteln will. Was geht denn so eine Tussi mein Schutzengel an? Und was sind das für Leute? Wieso soll ich mich freiwillig in die Hände von Halbirren begeben, die ich nicht kenne, die auf dubiosen Wegen noch viel dubiosere Diplome fürs Chakren-Zurechtbiegen erworben haben? Das ist doch Verarschung. Im Kreisboten! Lebensglück als Postwurfsendung!«
»Ja, da gebe ich dir ja Recht, anscheinend gibt es einen Markt. Aber ich meine eine andere Sehnsucht. Eine, die wir in uns tragen. Nach Unmittelbarkeit.«
»Ich trage die nicht in mir! Ich nicht! Gut, ich bin ja auch ein unsensibler Klotz. Aber erklär mir, wieso besteht diese Faszination einer muffigen Epoche voller Männer mit Mundgeruch und Frauen mit verfaulten Zähnen? Einer Epoche der Hexenverfolgung, der Verdammung von Sex und von Rittern, die auf Pferden saßen, die nicht größer als deine Ponys waren. Das ist doch alles Potterismus. Und über allem wehen die Nebel von Avalon. Diese Ritter der Tafelrunde waren entweder debil oder größenwahnsinnig. Mensch, Jo, mach doch die Augen auf.« Gerhard spürte, dass er unangemessen wütend wurde.
Jo schrie ihn plötzlich an. »Du hast natürlich null Gespür für eine andere Welt als Biergarten, Fußball und Bergtouren. Warum hab ich dich bloß um Hilfe gebeten? Ich hätte es wissen müssen.« Und sie rannte davon.
Gerhards erster Impuls war es, dieser ganzen Mittelalterkomödie den Rücken zuzukehren. Aber etwas hielt ihn auf. Langsam ging er bis in die Königsloge hinauf.
Eine Packung Tempos zierte platt getreten den Boden. Neben dem Sessel rollte eine Flasche Thannhäuser Cola-Mix auf dem Boden. Wie ein Perpetuum mobile rollte sie von links nach rechts und zurück. Vom Wind beflügelt. Schachteln von Kamera-Akkus lagen herum, an der Brüstung war ein Leitz-Ordner auf ein Brett genagelt. Hier fand wohl das Skript des Moderators seinen Platz.
Er stieg hinunter, und Gerhard betrachtete das Tor: Da war eine Düse, wo der Nebel während der Vorstellung hinter dem Tor herauszischte, ein Tor, das nur aus ein paar Balken und Stangen bestand. Die Backside, Backstreet, Nordseite, die Kehrseite der Medaille. Alles Attrappe, alles Provisorium. Schmutz, Staub, Pferdeäpfel – Gerhard fühlte die Entzauberung. Er war auf einmal so mutlos. Ein Gefühl, das ihn selten überkam. Er drehte sich gerade um, als ein gewaltiger heißer Nebelschwall herausschoss. Gerhard riss die Arme vor das Gesicht, hatte Mühe, sich zu orientieren und zu atmen. Er taumelte zur Seite, langsam lichtete sich der Nebel.
Gerhard zwinkerte und schrie: »Hallo, ist da jemand? Spinnt ihr, die Anlage zu testen, wenn hier Leute rumlaufen?«
Er bekam keine Antwort. Mit schweren Beinen ging er weiter. Er brauchte dringend kaltes Wasser für seine malträtierten Augen. War hier irgendwo ein Wasserschlauch?
Im ersten Container gab es aber nur die Elemente, die im Turnier die Begrenzung für die beiden aufeinander zugaloppierenden Ritter bildeten. Daneben kistenweise Melonen. Einige bereits geköpfte Exemplare waren drunter. Roter Saft rann zu Boden. Ein Wagen stand davor, er besaß Pappmaché-Aufbauten, leicht wie Federn, die im Turnier wie schwarze gewichtige Lavafelsen wirkten.
Eine ganze Welt aus Pappmaché. Selbst er, der er sich lustig machte über Turniere, Ritter und Anhängerschaft, wollte an die Helden glauben, an den Kampf zwischen Gut und Böse. Weil das Gute siegte. Anders als sonst. Gerhard beschloss, zum Stallzelt zu gehen, da gab es sicher Wasser.
Er kam am zweiten Container vorbei. Dem für die Lanzen. Das Lager war auch jetzt offen. Na toll, das war also Marcos Überwachung. Gerade als er sich abwandte und weiterging, spürte er einen Stoß in den Rücken. Er fiel, stieß sich das Schienbein und kippte nach vorne. Eine Tür schepperte. Es war dunkel, bis auf kleine Flinkerlichtchen.
Gerhard versuchte, sich zu orientieren. Da lief der Ventilator auf Hochtouren. Er konnte allmählich Mikros und Schaltpulte und Kabel ausmachen, wahrscheinlich sollte der Ventilator sie auf einer durchbrennsicheren Funktionstemperatur halten. Dennoch war es unglaublich heiß. Und plötzlich verstummte das Brummen des Ventilators. Gerhard rieb sich die Schienbeine, er fasste in etwas Warmes. Er hinkte zur Tür. Die Eisentür war verriegelt. Er rüttelte und schrie. Nichts. Er suchte sein Handy und hatte
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