Eisenherz - Förg, N: Eisenherz
gezogen sind. Amerika oder Kanada wäre mir lieber gewesen, ich wollte unbedingt Indianer werden. Stattdessen wurde ich erst mal so eine Art Fachmann für verrückte Pferde. Dabei ist das Tier selten verrückt. Es ist der Mensch!«
O ja, das gefiel Jo natürlich. Das war auch ihr Credo. Tiere spiegeln nur die Unsicherheit oder Aggression ihrer Besitzer wider.
»Und weil Sie einen Draht zu Pferden haben, haben Sie beschlossen, gegen deren Natur zu arbeiten? Und Pferde durch Feuerwälle rennen zu lassen?«
»Pferde wollen lernen. Sie brauchen Aufgaben. Das Training ist ein langer Prozess! Das absolut Entscheidende ist, das Tier nicht zu enttäuschen. Pferde sind vertrauensvoll, aber ist dieses Vertrauen einmal verspielt, gibt es kaum einen Weg zurück.«
Marco tätschelte den Hengst. Er schickte einen nachdenklichen Blick zu seinem Hengst hinüber. Was hatte Jo auf ihrer Homepage geschrieben? Er vertiefe sich in ein Pferd. Wenn er beginne, ein junges Pferd zu trainieren, versuche er vom Pferd zu lernen.
Als erahnte Marco Gerhards Gedanken, fuhr er fort: »Tiere sind Individuen. Pferde haben Präferenzen, jedes ist anders, die Kunst ist es, das Beste aus dem jeweiligen Charakter herauszufiltern und Nachteile in Vorteile umzumünzen. Gilt übrigens auch für Frauen.« Er lachte wieder. Offen und nett. »Sie müssen Ihren Blickwinkel ändern. Im Film merken es die wenigsten. Wir arbeiten im Film mit dem Doppelgänger-Trick. Ich trete stets mit zwei Pferden an, die dem Zuschauer absolut identisch vorkommen. Das eine Pferd steigt beispielsweise sehr gekonnt, das andere ist kühn beim Sprung über Feuer. Im Kino geht das, die Drehs lassen sich wiederholen.«
»Und hier ist das live …«, meinte Gerhard.
»Ja, in Kaltenberg ist das anders. Genau das ist der Reiz für uns. Alles muss auf die Sekunde passen. Wir haben gestern viele Fehler gemacht. Es gibt keine Chance auf Wiederholung. Das Publikum reagiert unmittelbar. Das ist mir momentan wichtiger als Ruhm in Hollywood. Den Jungs auch. Sie trainieren hart, dahinter steckt extrem viel Arbeit. Und es macht mir Freude, neue Geschichten zu erfinden.«
»Ihre Freude dürfte etwas getrübt sein nach dem Unfall, Monsieur Cœur de Fer?«
»Sagen Sie doch Marco zu mir, Gerhard.« Er betonte das französisch. » Oui , Gerhard, ich bin entsetzt. Und halten Sie mich jetzt bitte nicht für herzlos. Ich bedauere den armen Jungen, aber ich war noch viel entsetzter, als Suente weg war. Menschen leben selbstbestimmt, Verletzungen sind Berufsrisiko, aber die Kreatur liefert sich uns bedingungslos aus. Das ist eine große Verantwortung.«
»Nun, eine präparierte Lanze ist wohl kein Berufsrisiko, oder?« Gerhard wollte ihn ein wenig provozieren.
» Naturellement , nein. Ich gäbe etwas darum, das zu verstehen!«
»Monsieur … also Marco, es ist Ihr zweites Jahr hier. Letztes Jahr gab es tolle Kritiken, dieses Jahr werden Ihre Jungs zusammengeschlagen, sie haben dubiose Lebensmittelvergiftungen. Ihre besten Pferde verschwinden, am Ende wird einer lebensgefährlich verletzt. Das gehört doch alles zusammen, oder wie sehen Sie das? Was ist dieses Jahr anders als letztes Mal?«
» Mon dieu , das habe ich mich auch gefragt und keine Antwort darauf.«
»Nun, neu wäre, dass Sie den Lanzenmacher schlecht bezahlt haben.« Doch, Gerhard musste ihn provozieren, um ihn hinter der kühlen Fassade hervorzulocken.
Er zog die Augenbrauen hoch. »Aha.«
»Marco, ein Aha ist mir zu wenig. Sie finden doch sonst so schöne Worte für Ihr Tun. Hat der Mann auf Geld gewartet, ja oder nein?«
»Ja, hat er. Aber nicht, weil ich ihn nicht bezahlen will oder kann, sondern weil er ein paar Mal sehr schlechte Qualität geliefert hat. Ich habe ihm gesagt, dass ich neue Lanzen erwarte, und wenn die in Ordnung sind, dann gibt es Geld. Das war mein letztes Angebot. Sonst suche ich mir einen neuen Zulieferer.«
»Und die letzten Lanzen waren in Ordnung?«
» Merde , nein! Die Bohrungen waren schlampig, er hat Fichtenholz verwendet. Ich aber wollte Arvenholz, das ist leicht und hart zugleich.«
»Und so gab es wieder kein Geld?«, fragte Gerhard.
»Nein, ich habe Nachbesserungen verlangt. Das ist ja wohl mein gutes Recht, oder?«
»Nun«, sagte Gerhard gedehnt, »ist das nicht ein Teufelskreis? Ohne Geld tut sich ein kleiner Handwerker womöglich ziemlich schwer, die gewünschte Qualität zu liefern?«
Er dachte an das, was Hubert Holzer gesagt hatte. Schon ein säumiger Zahler konnte die Existenz
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