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Eisenherz - Förg, N: Eisenherz

Eisenherz - Förg, N: Eisenherz

Titel: Eisenherz - Förg, N: Eisenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Förg
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sich auch. Sagte es aber nicht. Immer wenn er sie traf, freute er sich. Die gemeinsamen Stunden waren voller Lachen. Er war jedes Mal ohne Erwartungen gekommen und mit leichtem Herzen gegangen. Immer wenn er mit Jo verabredet gewesen war, war er nervös gewesen, voller Erwartungen. Und oft war er mit schwerem Herzen gegangen.
    Jemand tippte ihm auf die Schulter. Jo!
    »Hallo!«
    Gerhard sagte nichts. Kassandra streckte Jo die Hand hin.
    »Hallo, du bist die Pressesprecherin. Ich bin die Vertretung für Sybille Köhler, wir haben das mit Martin von der Regie besprochen.«
    Jo nickte.
    »Alles klar, Martin hat mir erzählt, dass er froh ist, den Stand da zu haben. Ihm gefallen die Sachen sehr.«
    Sie ließ ein paar der Kreuze durch ihre Finger gleiten. Schließlich nahm sie eines vom Ständer. DIR WIRD EIN SIEG . »Ich nehm das. Es schadet sicher nicht.«
    Anastasia-Kassandra lächelte. »Nein, bestimmt nicht. Es ist gut, etwas zu beschwören. Was man wirklich will, tritt auch ein.«
    Beide Frauen sahen Gerhard an, der unangemessen ruppig zu Jo sagte: »Können wir dann!«
    »Sicher. Ciao«, sagte Jo in Kassandras Richtung. »Nette Frau, interessant, was macht sie denn sonst?«
    »Sie hat sich der Lebenshilfe verschrieben. Sie firmiert als Schamanin. Die Menschen suchen anscheinend alle ihren Weg. Suchen einen Sinn oder Glück. Was weiß ich?«
    »Suchst du kein Glück?«, fragte Jo. Sie sah ihm in die Augen. »Nein, das tust du nicht. Du hast nie gesucht. Warst nie verkrampft auf der Suche. Dein Geheimnis?«
    »Ich weiß nicht. Was ist schon Glück? Doch nicht mehr als eine Momentaufnahme«, sagte Gerhard und fand sich toll. So kluge Sachen fielen ihm selten ein.
    »Tja, was ist Glück?«, fragte Jo und fuhr fort: »Nichts Spezielles, nichts Großartiges. Es ist Ende März und plötzlich ganz warm. Krokusse spitzen aus einem grauen Boden, Schneeglöckchen ducken sich noch ungläubig hinter bemoosten Steinen. Ist es wirklich so warm? Und dann gehst du raus. Moebius liegt auf dem Holzstapel und sonnt sich. Mümmel springt auf den Tisch und riecht am ersten Glas Frühlingswein. Es ist halb drei, keine Zeit für Wein an einem Wochentag. Oder doch! Ein junger Weißer. Reicht dir das als Glück?«
    »Durchaus.«
    »Dir wäre ein junges Weißbier lieber. Ich weiß. Das erste im Stift. Das erste im Strandcafé in Bühl? Oder bist du schon Weilheimer geworden, dass dein erstes frühlingshaftes Weißbier im Dachsbräu eingeschenkt werden müsste? Oder in deiner Moosmühle in Huglfing? So hieß die doch?« Sie lächelte ihn an.
    »Ach Jo, ist es nicht seltsam, dass vor meinem inneren Auge mein erstes Frühlingsweißbier untrennbar mit deinem Garten verbunden ist? Eine Katze stößt es um, ein Pferd bläst mir seinen warmen Atem in den Nacken. Ich falle vom Stuhl, weil der dumme Gaul immer näher rückt. Das sehe ich: dein ganzes Pippi-Langstrumpf-Leben.«
    Sie schwiegen. Gerhards Blick ging über das Gelände. Ein junger Mann in kurzen Hosen und einem verwaschenen T-Shirt lief an der Burg vorbei. Er hatte einen Waschbeutel unter dem Arm und ein rosa Handtuch über der Schulter. Ihm kam einer entgegen, ein Handtuch um die Hüften gewickelt. Schnappi, das Krokodil, zierte das Tuch. Auch er hatte einen Waschbeutel dabei, das Mädchen, das hinter ihm herschlappte, trug ein türkisfarbenes Beauty Case. Da waren sie wieder, die Menschen des dritten Jahrtausends, der Querschnitt schlechten Handtuch-Geschmacks, die am Abend plötzlich zur ungewaschenen Mittelalter-Besetzung mutierten. Von Schnappi zum Kettenhemd!
    Er wandte sich wieder Jo zu. »Was ist das, um Gottes willen? Was zieht die modernen Menschen zu Wahrsagern und Kräuterhexen? Noch nie sind wir so alt geworden wie bisher, noch nie hat die Medizin so viele zu frühe Tode verhindert und Leiden gelindert. Leute wettern gegen die Schulmedizin, fressen Globuli und glauben an Wunder.«
    »Komm, Homöopathie wirkt. Auch wenn keiner weiß, warum. Und sei es ein Placebo-Effekt, auch gut!«
    »Ja, von mir aus. Aber gerade die akademisch gebildeten Menschen sind ganz wild nach Mondkalendern, Wünschelrutengehern, Bachblüten und Horoskopen. Warum?«
    »Weil wir alle eine Sehnsucht haben nach Mystizismus.« Jo klang bestimmt und überzeugt.
    »Ach komm! Was für ein Mystizismus ist das? Im Kreisboten, ich wiederhole, schon im Kreisboten, da gibt es Sonderseiten mit Menschen, die mir eine potenzialorientierte Einzel- und Paarbegleitung anbieten, die meine Iris diagnostizieren wollen, die

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