Eisenherz - Förg, N: Eisenherz
»War er da?«
»I hob eam spad auf d’ Nacht mit seina Hirnbirn übern Hof geh seng.«
»Hirnbirn?«
»Stirnlampe«, sagte Baier missbilligend. »Weinzirl, jetzt lernen Sie mal Bayerisch.« Er wandte sich an den Mann. »Wann war das ungefähr?«
»Sicher no oiwei um hoib oans. I bin dann ins Bett. Is a netta Hund, mei Nachbar. Er werkelt recht vui. Und dann haut eam de Frau ab.«
Baier nickte verständnisvoll. »Nach halb eins haben Sie nichts mehr gehört oder gesehen?«
»Mir is so vorkemma, als dad er sei Auto starten. Der Karrn is am nächstn Dog a wo anderst gstandn«, sagte der Mann.
»Danke, Sie haben uns sehr geholfen«, sagte Gerhard.
»Der is fei wirklich a netter Hund!«, versicherte der Nachbar eindringlich.
Baier nickte.
Auf der Rückfahrt nach Weilheim machte Evi als Erste ihrem Unmut Luft.
»Das ist ja wieder mal klassisch. Schmoll sagt aus, er wäre im Büro gewesen. Kann durchaus sein, aber nachts war er laut der Liste nochmals in der Halle. Hat kein Alibi, der Mann. Der Bürgermeister kommt gegen halb eins heim, dreht den Fernseher auf und geht wieder. Auch er war laut Liste in der Halle. Hat auch kein Alibi. Und der Landwirt fährt mitten in der Nacht nochmals weg. Wohin? Zur Halle? Auch kein Alibi. Was sollen wir bloß mit so vielen Verdächtigen?«
»Einen nach dem anderen ausschließen und hoffen, dass einer übrig bleibt«, sagte Gerhard.
»Wir hätten auch noch den Trüffelkleber«, stöhnte Evi.
»Nein, den haben wir nicht!« Baier setzte mal wieder auf den Überraschungseffekt.
»Wieso?«
»War auch bei der Musi. Im Val Sugana. So ‘ne Italienfahrt lässt sich der Gourmet nicht nehmen. War als Dolmetscher dabei. Ich sag’s nochmals: Tagblatt lesen, dabei gewesen.«
»Bleiben uns drei verdammte Lügner!«, schimpfte Evi.
»Genau, und zwei werden wir heute Abend aufsuchen. Achtzehn Uhr hier. Sie auch, Weinzirl.«
Mit diesen Worten stieg Baier aus und ging davon.
»Achtzehn Uhr! Genau! Wenn du nicht da bist, dann gnade dir Gott!«, schickte Evi hinterher.
Kaltenberg
Gerhard war um zwölf Uhr in Kaltenberg und schlenderte erst mal über den Markt, wo sich die Standlbesitzer für den Ansturm rüsteten. Hier hätte Gerhard sich ausstaffieren können: ein Papphelm in Silber, ein Holzschwert, ein Wams aus Samt. Eine Frau arrangierte Haarreifen mit langen weißen Schleiern, eine andere legte sich Farben zurecht, um später Kindern geheimnisvolle keltische Symbole auf die Wangen zu malen. Mittendrin trainierten junge Männer in oversized Caprihosen das Jonglieren, einer trug ein T-Shirt mit »Fuck the army«, der nächste eins mit Cannabisblatt, auf einem anderen stand: »On the shore of a lake there gathered some outlaws.« Später würden sie Pumphosen anhaben und neckische Schellenkappen. Wo war sie bloß, diese große Zeitmaschine?
Er ging weiter bis zu einem Stand, wo ein Schild versprach, dass die Mützen und Kappen alle aus nicht entölter Yakwolle stammten. Aha! Er blieb wieder stehen. Von einem Rondell baumelten Kreuze. Sie waren aus Holz geschnitzt, kleinere und größere. Und sie trugen Inschriften jeweils auf Vorder- und Rückseite, die wie beim Scrabble funktionierten.
DIR WIRD EIN SIEG oder BAUER HAT ERD KRAFT
Er las, überlegte, wie er das fand – diese merkwürdigen Kreuze. Sie waren witzig, und irgendwie sprachen sie ihn an. Es ging etwas von ihnen aus.
Hinter der Theke kam ein Kopf hervor.
»Kann ich Ihnen he …«
Beide starrten sich an. Die Frau begann zu lachen, Gerhard starrte noch immer. Es war Anastasia-Kassandra! Die Verschollene.
Sie war leichtfüßig hinter ihrer Theke herausgesprungen, umarmte ihn. Gerhard stand stocksteif.
»Ich habe dauernd versucht, dich zu erreichen.«
»Ich war bei Sybille. Sie macht diese Kreuze. Sie ist sehr krank. Sie verdient in Kaltenberg fast ihr Jahreseinkommen. Jemand anderer musste hier den Laden schmeißen.«
Das war Anastasia, wie sie leibte und lebte. Mit ihrer klaren Sicht auf die Welt. Wie Baier. Klar und gradlinig. Gerhard registrierte einen Stich im Herzen. Da war sie also: Stasi, Himmel, nicht mal einen Kosenamen hatte er für eine Frau, mit der er ein paar Mal geschlafen hatte. Stasi? Nein, das ging ja gar nicht. Staserl? Auch nicht! Anni, zu banal. Cassy, zu englisch. Anastasia-Kassandra. An seinem Bein scharrte und kratzte einer und bellte auf Quietschfrequenz: Plinius, der Ältere, der alte flatulente Rehpinscher.
»Er freut sich, dich zu sehen. Ich auch!«, sagte Kassandra lachend.
Er freute
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