Eisenherz - Förg, N: Eisenherz
Unfall, davon, dass Lepaysan am Tag, als die Lanzen kamen, backstage war. Dass er annahm, Lepaysan könnte etwas fotografiert haben, was er nun auch für eine Erpressung nutzen konnte. Dass er den tschechischen Lanzenmacher oder Juckie Verbier in Verdacht hatte. Mit einem uralten Mordmotiv: Rache für eine erlittene Schmach. Und er erzählte von dem Anschlag auf ihn selbst.
»Der Unfall? Hinkst du deshalb?«, fragte Evi.
Gerhard nickte und rollte die Hosenbeine hoch. Er hatte die Pflaster abgenommen. Verkrustetes Blut und beginnende Blut-ergüsse waren zu sehen.
»Wie aus dem Fleischwolf«, sagte Baier. »Nun, Weinzirl, Sie glauben also, der Lanzenmacher oder dieser Verbier waren das. Und was, wenn Lepaysan es selber war?«
Gerhard stutzte. Darauf war er gar nicht gekommen. »Warum sollte unser Fotodandy Lanzen präparieren?«
»Vielleicht war das Verhältnis zu diesem Cöör dö Fär doch nicht so innig? Vielleicht gab’s da was. Alles Künstler, da weiß man nie.«
Heute war Baier mal wieder ganz der Alte. Knurrte, brummte, war wach wie eh und je. Dachte kreuz und quer und konnte eins, was Gerhard in all den Jahren immer noch nicht hundertprozentig beherrschte. Baier konnte seinen Kopf frei halten, in alle Richtungen denken. Er legte sich nie zu früh fest. Wechselte die Blickwinkel. Wie Marco das Gerhard auch geraten hatte. Er selbst hatte doch Jo gerade erst gepredigt, dass zu frühe Annahmen den Blick verstellten. Andere zu belehren war leicht. In dem Fall war er sich fast sicher, dass Lepaysan den Tschech oder Verbier bei etwas Verbotenem fotografiert hatte. War diese Annahme voreilig?
»Nehmen wir mal an, Lepaysan hätte einen von denen fotografiert, wo sind dann die Bilder?«, fragte Evi.
Evi, diese Spielverderberin! Immer diese penetranten Fragen. »Meine kritische Evi-Maus«, sagte Gerhard, »der Mörder muss sie gefunden und vernichtet haben. Gelöscht, was weiß ich. Das würde ja auch erklären, weswegen er keinerlei Interesse an den anderen Bildern gehabt hat.«
»Und wenn sie noch da sind?«, meinte Baier. »Frau Straßgütl. Können Sie sich die Computer nochmals ansehen? Vielleicht haben wir etwas übersehen.«
Evi nickte. »Gleich?«
»Kaum. Es reicht jetzt. Morgen früh. Wir treffen uns im Büro. Um acht.«
Als Gerhards Wecker um sieben Uhr klingelte, kam das Geräusch aus weiter Ferne. Es dauerte eine Weile, bis er begriff. Er lag auf dem Sofa und war wohl in einer Tiefschlaf-Phase gewesen. Er war wie abgeschaltet. Nachdem sie Toni gestern gegen zwei Uhr verlassen hatten, war er viel zu aufgedreht und unruhig gewesen, um schlafen zu können. Er hatte im Fernseher rumgezappt zwischen »Ruf-Mich-An«, Klingeltönen zum Runterladen und Shopping- TV , wo er ein Reinigungsgerät für seine Terrassenfliesen hätte kaufen sollen. Irgendwann war er wohl eingeschlafen, der Fernseher lief noch immer, jetzt mit schauerlichen Comics, die wohl gestressten Eltern den Sonntagsschlaf retten sollten. Um die Zukunft dieses Landes war es überaus bedenklich bestellt, befand Gerhard, wenn die nachfolgende Generation in einer wichtigen Prägephase am frühen Morgen solchen Scheiß sah. Er versuchte sich zu strecken. Die Nacht auf der Couch hatte seinem Kreuz alles andere als gut getan.
Er tapste zur Terrassentür und erblindete schlagartig, angesichts ungewohnter sonniger Helle. Rumms, er stieß gegen etwas, das allerdings ziemlich weich war. Gerhard blinzelte. Er war gegen eines von Sarahs Fohlen gelaufen, Sarah, die 23-jährige Tochter seiner Vermieter, war eine Tier- und Pferdenärrin. Pferdemädels schienen ihn zu verfolgen. Pferde auch. Der mausgraue Norweger musterte ihn interessiert. Dann vollführte er einen kleinen Hüpfer. Wollte der komische Mensch mit ihm spielen?
Gerhard gab ihm einen deftigen Klaps auf den Hintern. »Abfahrt!« Wild buckelnd schoss er durch den Garten zu seinem Shetland-Kumpel, beide gehörten wahrscheinlich nicht in die Beete.
Gerhard überließ die beiden den Blumen und Beeten, die würden in den weitläufigen Ländereien seiner Vermieter schon nicht verloren gehen. Er duschte lange, öffnete das Fenster und stieß zum zweiten Mal gegen den Grauen, der seine Nase hereinsteckte.
»Du lästiges Wimmerl!«
Als Gerhard durch Tankenrains Kurve fuhr und die Alpenkette so vor ihm lag, war er auf einmal richtig froh. Froh hier zu sein. Er schielte auf das Display seines Handys: keine Kurzmitteilung von Kassandra. Gerhard betrat gleichzeitig mit Evi das Büro, wo Baier bereits
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