Eisenherz - Förg, N: Eisenherz
Mieder und Bluse und langen blonden Zöpfen. Sie sah zu ihm hin, sie stutzte. Er auch.
Das war doch Sarah, die Tochter seiner Vermieter. Ganz vorne stand sie inmitten der Gruftfarbenen. Sie begann sich zu ihm durchzukämpfen und stand schließlich vor ihm. Ein bisschen erhitzt und sehr, sehr hübsch.
»Gerhard! Was machst du denn hier?«, fragte sie. »Hallo, grüß Sie, Herr Baier.«
»Sarah, Sie sehen ja ganz entzückend aus.« Baier kannte die Tochter von Gerhards Vermietern wahrscheinlich, seit sie ein Baby gewesen war.
»Danke. Und was macht ihr jetzt hier?«
»Uns umsehen«, sagte Gerhard.
»Einfach so?«
»Und was machst du selbst?« Gegenfragen waren schon immer die beste Ablenkung.
»Na, ich bin doch als Gänsemagd hier. Das hab ich dir doch mal erzählt, deswegen hab ich doch die Gänse trainiert. Warst du schon mal beim Turnier?«
»Ja, am Freitag.«
»Hast du mich da nicht gesehen, beim Einzug in die Arena?«
Klar, die Gänse! Natürlich! Die blöden Schnatterviecher, die auf seine Terrasse kackten und schrien, als müssten sie die Bewohner des Kapitols warnen. Am nettesten war es gewesen, als das Federvieh Arrest wegen der Vogelgrippe gehabt hatte. Still war es gewesen, himmlisch und unverkackt. Er war zwar im Großen und Ganzen der Meinung gewesen, dass dieser ganze Stallpflicht-Aktionismus völlig fehl am Platz gewesen war – die hatten ja sogar die Türen der Kuckucksuhren zugetackert –, aber in seinem speziellen Fall war das eine schöne Zeit gewesen. Natürlich hatte Sarah ihm erzählt, dass sie in Kaltenberg mitmachen würde. Aber er merkte sich Erzählungen oft nur sehr selektiv.
»Und wie findest du Corvus?«, fragte sie.
»Na ja …«
»Also ich mochte Corvus Corax immer schon lieber als die Backstreet Boys. Lange Röcke und Mieder sind kleidsamer als Hüfthosen und Miniröcke.«
Nun, da war er geneigt, ihr zuzustimmen. In beiden Fällen. Auch Baier nickte.
»Sollten Sie sich als Fan nicht schwarz färben, Sarah?«
Sie lachte. »Als einzige Blonde ist man eine Exotin, das hat durchaus Vorteile.« Sie winkte dem Stachelfrisur-Frontman zu, der gerade hersah.
»Der kann dir aber nicht allen Ernstes gefallen?«, fragte Gerhard entsetzt.
Sie zuckte die Schultern. »Och, die erste Wahl ist immer der Schwarze Ritter, dann ein Ritter, aber ein Spielmann ist auch nicht schlecht. So war das immer. So manche Dorfschönheit erlag so einem Spielmann.«
Na, das nannte er Offenheit! Die jungen Frauen heute waren alle so bedrückend ehrlich. Gerhard sah zur Bühne und hoffte inständig, dass sie keinem erlegen war, aber dieser Wunsch kam sehr wahrscheinlich zu spät. Er hatte das noch im Ohr: Die erste Wahl ist der Schwarze Ritter. Er dachte an Jo. Die war immer schon eine Frau für die erste Wahl gewesen. Nie für Sonderangebote!
Sarah nahm einen Schluck aus ihrem Trinkhorn, reichte es Baier, der ablehnte. Gerhard nippte kurz. Bier, kein Met, gottlob.
»Im Prinzip sind die Spielleute voll nett. Ein bisschen versaut halt, aber du musst dir mal vorstellen, dass die Weiber denen in ihrer Pension in Weil auflauern und vor den Zimmern am Boden campieren, bis die Jungs kommen. So krass war das im Mittelalter wohl nicht. Aber die Bürger fürchteten die Spielmänner. Sie verboten den Tanz. Es gab sogar eine Krankheit: Tanzwut, eine Art Massenhysterie.« Sie klang aufgedreht, vielleicht waren alle in Trance?
Baier sah sie entgeistert an. »Was ist es? Sarah? Ich frage Sie wirklich und allen Ernstes. Was ist es? Was fasziniert euch Mädels daran, in eine Zeit einzutauchen, die irgendwann nach Karl dem Großen begann? Es war eine fürchterliche Zeit!«
»Herr Baier! Gerhard! Natürlich war es eine Scheißzeit, aber hier sind das nur drei Wochenenden. Für immer möchte ich das auch nicht. Ich liebe meine Badewanne und eine Heizung, die man bloß aufdrehen muss.« Sie lachte hell. »Es sind übrigens nicht nur die Frauen, die ihr Herz oder ihre Unschuld an die Ritter verlieren. Erwachsene Männer wollen der Schwarze Ritter sein, statt Rasen zu mähen und vor dem Chef zu katzbuckeln. Ich liebe das hier: Fanfaren und Kettengerassel, der Marktschreier, der so heiser ist, der Schmied voller Ruß, Menschen auf Stelzen, die Teestube aus dem Morgenland, Trommeln, Glöckchen, Schellenkränze, ja überall Schellenkränze.«
Gerhard sah sie an. Ja, alle hier schienen in einer Massenhypnose gefangen zu sein. »Von mir aus. Aber ihr benehmt euch alle, als begänne eine neue Zeitrechnung.«
»Klar. Es
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