Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eisenherz - Förg, N: Eisenherz

Eisenherz - Förg, N: Eisenherz

Titel: Eisenherz - Förg, N: Eisenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Förg
Vom Netzwerk:
gibt die Zeit, und dann gibt es drei Wochenenden außerhalb von Zeit und Raum im Juli. Kaltenberg! Ich wollte dabei sein, nicht nur als Zuschauerin! In die Arena einziehen. Das ist einfach gewaltig! In Kaltenberg ist alles aus dem Zusammenhang gerissen. Alles ist im Fluss. Versteht ihr? Das muss man fühlen. Das ist der Kick.«
    »Der Kick?« Baiers Blick ruhte durchaus wohlwollend auf Sarah. »Liebe Sarah, ich befürchte, dafür bin ich zu alt. Grüßen Sie mir Ihre Eltern.«
    »Mach ich, Herr Baier. Mach ich! Gehen Sie auch noch ins Badhaus?«
    »Wohin?«
    »Da trifft man sich. Also salvete, bis bald mal.« Sie winkte, schürzte ihre Röcke und eilte in langen energischen Schritten davon.
    »Himmel!« Das kam aus Baiers tiefstem Seelengrund.
    Gerhard und Baier folgten den Konzertbesucherinnen Richtung Ausgang zum Badhaus, einer Kneipe, deren Außensitzplätze komplett belegt waren. Gerhard organisierte ein Bier, und sie beobachteten. Die Fraktion der dämonischen Frauen war voll vertreten. Es dauerte eine Weile, bis die ersten Spielleute kamen. Sie hielten Hof, sie taxierten die Weiblichkeit. Eine Frau sendete hektisch eine SMS, und die kam augenscheinlich bei dem Oben-ohne-Trommler an.
    »Sakrament, das Mädchen sitzt in Rufentfernung! Ja, geh halt hin, du Lapp!« Baier war nun wirklich fassungslos. Was bei ihm selten vorkam.
    Der Trommler schrieb eine ganze Weile weiter SMS , bis er plötzlich aufstand und mit einer ganz anderen Frau wegging. Die SMS -Tante brach unmittelbar darauf in Tränen aus, eine wahre Flutwelle, die aus ihrer Schminke schwarze Flüsse machte.
    »Himmel!« Baiers Seuchenblick hatte sich noch verstärkt. »Bloß weg hier. Schauen wir lieber in der Arena zu. Dann lieber ein Gaul.«
    Der Gaul war einer der Schimmel, und er schien mit hohen Schritten zu tanzen. Ein Lichtspot folgte ihm durch die Arena. Pure Ästhetik, und selbst Gerhard, der mit Pferden nichts am Hut hatte, konnte sehen, dass Marco und das Pferd zu einer Einheit verschmolzen waren. Wie ein Zentaur. Marco bewegte sich auf das Arenator zu, das von Lichtreflexen umzuckt wurde, die sich im Nebel brachen. Diese verdammte Nebelmaschine, unangenehm drängte die Erinnerung heran. Gerhard ließ den Blick über das Tor schweifen, und plötzlich nahm er eine Bewegung oben in der Königsloge wahr. Eine Gestalt, die durch das Licht- und Schattenspiel mal aufflackerte und dann wieder verschwunden war. Gerhard kniff die Augen zusammen. Unruhe überfiel ihn. Was war das, da oben? Nun bewegte sich nichts mehr, nur die zuckenden Lichter. Gerade als er sich wieder Marcos Reitkunst zuwenden wollte, sah er es. Über die Balustrade der Königsloge schob sich etwas. Es züngelte gleichsam hervor aus dem Nebel. In dem Moment rannte Gerhard los, die Stufen hinunter, hinein in den Arenasand. Buhrufe kamen von den Rängen. Idiot, raus aus der Arena!
    Gerhard sprintete weiter, auf das Pferd zu, das unter dem Tor piaffierte.
    »Marco, vorwärts, raus unter dem Tor. Vorwärts!«
    Marco sah ihn, zögerte eine Sekunde, dann schoss der Hengst in einem gewaltigen Sprung nach vorne. Flog durch die Luft. Hinter ihm donnerte etwas zu Boden. Der Hengst scheute, sprang zur Seite, seine Nüstern waren geweitet. Die Leute auf den Rängen waren aufgesprungen, Stimmengewirr, Gekreische.
    Plötzlich erlosch der Lichtspot, auch die bunten Lichter im Tor waren ausgegangen. Die Arena lag im Dunklen.
    Von irgendwoher kam eine Mikrofonstimme: »Bitte bewahren Sie die Ruhe. Es ist nichts passiert. Es hat sich nur ein Balken gelöst.«
    Die Stimme gehörte zu Baier. Gerhard drehte sich um. Sein Auge hatte sich an das diffuse Licht gewöhnt. Da war Marco neben dem Pferd, ging um das Tier herum, tastete seine Fesseln ab.
    »Nichts passiert«, sagte er. Dann kam er auf Gerhard zu und gab ihm die Hand.
    »Danke, Gerhard.«
    Sie schauten beide zu Boden, dorthin wo ein gewaltiger Balken lag.
    »Danke«, sagte Marco nochmals leise, und dann sprang er plötzlich in den Sattel. Galoppierte in die Mitte der Arena. Rief laut:
    »Licht an.«
    Der Spot suchte ihn, fand ihn, und Marco ließ das Pferd steigen. Dann schrie er hinaus: »Trauen Sie nie Ihren Augen, nie dem Sichtbaren, das Leben ist Show.« Es dauerte ein bisschen, bis Gerhard begriff. Marco tat so, als sei das alles geplant gewesen, Teil einer Showeinlage. Das Volk raste und tobte, applaudierte und trampelte. Gerhard drückte sich am Zaun entlang zur vorderen Treppe. Als er die hinaufstieg, klatschten einige in die Hände.

Weitere Kostenlose Bücher