Eisenherz - Förg, N: Eisenherz
erreicht«, sagte Evi. »Sie ließ es sich nicht nehmen, gleich zu kommen.« Sie sah auf die Uhr. »Sie müsste gleich da sein.«
»Na, da wird sich der Kollege Weinzirl aber freuen.« Baiers dummer Spruch kam gerade richtig in der gedrückten Stimmung.
Antonia Gröbl kam tatsächlich zehn Minuten später. Ihre Sieben-Achtel-Jeans war so was von eng und der weiße grobmaschige Baumwollpulli so was von weiß auf ihrer schwarzen Haut und so was von durchsichtig, dass die beiden Herren zu erblinden drohten. Baier zwinkerte irritiert. Gerhard versuchte, seinen Blick auf etwas Neutrales zu richten. Stuhl, Schrank, Computer.
»Griaß Gott, beianand.« Sie war frohgemut und stimmgewaltig wie immer. Es war Evi, die ihr das stark vergrößerte Foto von Holzer vorlegte.
»Könnte das der Mann sein, den Sie vor der Bräuwastlhalle gesehen haben?«
Sie schaute Evi überrascht an. »Ja. Tatsächlich. Des könnt er sein«
»Könnte?«
»Ja, könnte. Nicht hundertprozentig, es war ja dunkel, und das ist ein ganz schön schlechtes Bild. Aber er könnte es sein. Doch!« Und wieder konnte Antonia Gröbl Hochdeutsch, so was von akzentfreiem Hochdeutsch.
Baier versuchte, seine vorübergehende Sehschwäche zu überwinden und ihr starr ins Gesicht statt auf die nicht unerhebliche, unzureichend bedeckte Oberweite zu sehen. Was schwierig war, denn auf höheren Absätzen war sie eben genau so viel größer, dass Baier bei lockerem Geradeausblick unwillkürlich dort landete, wo die Maschen wenig verbargen. Er bedankte sich für die Kooperation, und als sie ging, schaffte sie es, seitlich so an Gerhard vorbeizuschlüpfen, dass ihr Strickmuster samt Inhalt seinen Arm berührten.
»Pfüa Gott, Herr Kommissar.« Sie winkte Evi zu und stöckelte hinaus.
»So ein Luder!« Evi lachte lauthals.
»Pfft.« Gerhard atmete tief durch.
»Pass auf, die frisst dich mit Haut und Haar.«
»Ich hoffe, es kommt nicht dazu. Also, sie meint, es war Holzer.«
»Meint sie. Wie Frau Straßgütl ja schon mal gesagt hat: Diese Zeugenaussagen sind nichts wert. Wir haben nichts. Nur Spekulationen. Wissen wir denn, ob Holzer Lepaysan überhaupt kannte?«
»Das könnte Jo wissen.«
»Na, dann mal wieder auf zu den Irren des falschen Mittelalters.« Baier klang alles andere als erfreut.
»Da ist heute Abend Gauklernacht«, warf Evi ein. »Hab ich im Internet gelesen.
»Was für ein Ding?«
»Gauklernacht. Kein Turnier, dafür eben Gaukler aller Art. Feuerschlucker und so.«
»Herr, steh mir bei! Es gibt nur einen Grund, weswegen ich mir das nochmals antu. Das Bier ist eines der besten in Bayern.« Baier war aufgestanden. »Holzer wird ja wohl auch da sein, oder?«
»Nehm ich an.«
»Gut, Abfahrt um vier.«
Baier fuhr und gab diesmal Evi eine kleine Einführung in die Gegend. Angefangen damit, wo Gerhard im Wald hinter den einsamen Säulen hauste, weiter mit dem Zellsee und Wessobrunn mit seinem Kloster.
»753 gegründet, Frau Straßgütl. Der Bayernherzog Tassilo war müde und durstig von der Jagd, pennte unter einer Linde ein, träumte von ‘nem Engel, der vom Himmel herabstieg und Wasser schöpfte. Der Herzog wachte auf, hörte Wasser rauschen, ließ seinen Begleiter Wezzo suchen. Und patsch, da war die Quelle – Wezzofontanum. Gründete ein Kloster, die Linde gibt’s heute noch, die Quelle auch. Müssen Sie sich mal ansehen, Frau Straßgütl, sehr schöne Anlage, das Ganze. Dem Weinzirl empfehl ich so was schon gar nicht mehr.«
»Mach ich gerne.«
Evi streckte Gerhard die Zunge raus, der lieber aus dem Fenster sah, anstatt sein Kulturbanausentum zu verteidigen. Sie fuhren wieder durch Rott, und mehr noch als bei den letzten Malen hatte er das Gefühl, dass hier endgültig der schmucke Alpenrand zu Ende war. Dieses riesige Freiluftmuseum. Aber seine Bewohner mordeten auch, waren korrupt, verschlagen, betrogen und logen. Obwohl sich das in dieser opulenten Landschaft mit einer Märchenburg wie Neuschwanstein oder dem Stein gewordenen Kitsch eines Schlosses Linderhof gar nicht vertrug. Man musste wahrscheinlich wirklich Wagner spielen vor dieser Bühnenkulisse. Was im Radio kam, war mal wieder Falco. Irgendein Musikredakteur auf Antenne Bayern hatte anscheinend gerade seine Falco-Phase. »Muss ich denn sterben, um zu leben.«
Kaltenberg
In Kaltenberg steppte bereits der Bär. Die Parkplatzwiesen quollen jetzt schon über. Die Kommissare mussten ein gutes Stück gehen. Vorbei an Autos und Zelten, das Parkareal war ein riesiger inoffizieller
Weitere Kostenlose Bücher