Eisenkinder
schlimmste Welle rassistischer Ausschreitungen seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges.
Gegen wen richtete sich die Wut? Hans-Joachim Maaz, Autor des Buches Der Gefühlsstau, erklärt sie so: »Sie schlugen den Ausländer und meinten den Westdeutschen.« Im Prinzip hat er wahrscheinlich recht. Die »Fidschis«, »Neger« und »Zigeuner« lagen einfach näher als die übermächtigen Westler.
Im Januar 1991 hatte das Asylbewerberheim in Eisenhüttenstadt eröffnet. Über zwanzig Jahre später lese ich die Artikel der Lokalzeitung dazu nochmal. »In den nächsten Tagen sollen die ersten Asylanten in unserer Stadt eintreffen. Mit diesem Gerücht macht sich Angst und Verunsicherung breit«, schreibt die Lokalzeitung am 17. Januar. Asylant, das klingt nicht gut, es klingt wie Intrigant, Simulant, Pedant. Es ist ein Neonazi-Wort, aber das wussten die Journalisten der ehemaligen Bezirkszeitung damals wahrscheinlich nicht. Eine Woche später fliegen die ersten Molotowcocktails. Wer nicht viel nachdenken und seinen Frust ablassen wollte, hatte jetzt ein Ziel gefunden.
Im Nachhinein könnte man fragen, wer die kuriose Idee hatte, Tausende Flüchtlinge ausgerechnet in eine Gegend des Landes zu schicken, in der die Menschen selbst gerade dem Zugriff eines diktatorischen Staates entkommen waren. Zwanzig Prozent aller Asylbewerber wurden nach Ostdeutschland geschickt, unter Protest von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International. Woche für Woche wurden Hunderte traumatisierte Menschen aus Kriegsgebieten durch eine Stadt durchgeschleust, die selbst ihr Trauma noch nicht verarbeitet hatte. Die Ostler fingen gerade erst an, für sich selbst zu denken, Grenzen auszutesten. Aber Eisenhüttenstadt lag gut, in einer leeren Landschaft, am Rande Deutschlands, abseits von Autobahnen und Erholungsgebieten, ideal, um Probleme zu entsorgen. Wie Giftmüll.
1991 und 1992 wurden rund 34000 Asylbewerber durch Eisenhüttenstadt geschleust, bevor sie auf andere Heime verteilt wurden.
Es gab keine Dolmetscher, keine erfahrenen Anwälte, keine Begegnungsstätten, die sich um die Verständigung zwischen den Fremden und den Einheimischen kümmerten. Kurzum, es gab die Infrastruktur nicht, die Westdeutschland über vierzig Jahre aufbauen konnte.
Kein Politiker in Eisenhüttenstadt hielt es für nötig, den Menschen zu erklären, warum ausgerechnet in ihrer Stadt ein Ausländerheim eröffnet wurde, warum sie sich an den Anblick von Fremden in ihrer Stadt gewöhnen müssen und warum es eine zivilisatorische Errungenschaft war, Verfolgte aus anderen Ländern aufzunehmen. Die Bundesregierung wollte ja gerade das Asylrecht abschaffen.
Aus Angst vor der Wut der Bürger heizten auch die Lokalpolitiker die Stimmung noch an. »Über die Ausländer, über die man sich hier beschwert, beschwert man sich auch anderswo«, diktierte der FDP -Bundestagsabgeordnete Jörg Ganzschow im September 1992 in den Block eines Lokalreporters. Er schien den Steinewerfern recht zu geben. Der SPD -Innenminister, Alwin Ziel, empfahl einen Zaun um das Ausländerheim zu bauen. Er versprach, den Zuzug von Ausländern zu begrenzen. Als müsste man die Heiminsassen einsperren. Als seien sie das Problem.
In der Lokalzeitung werden die Ausländer durchweg einseitig dargestellt, als Diebe, Ungeziefer, Krankheitsüberträger. Ich zitiere hier die Überschriften in der Lokalausgabe der Märkischen Oderzeitung in den ersten acht Monaten des Jahres 1992:
»Rumänen mit Diebesgut gefasst«
»Rumänischer Asylbewerber stiehlt Lebensmittel
im Konsum Fünfeichen«
»Wenn wir aufpassen, schnappen wir manchmal
fünf Ladendiebe die Stunde«
»Auch Ausländer haben keinen Freibrief beim Stehlen«
»Nierenklau in Polen: Kidnapperstory erfunden?«
»Bulgarische Großfamilie schleppt Ruhr
nach Eisenhüttenstadt«
»Rumäne mit Spaten in 17 Gärten unterwegs«
Erschreckend, wie einseitig die Berichterstattung damals war. Immer wieder wurden die Ausschreitungen als »Protest« verniedlicht. Kein einziges Mal kommen die Menschen, um die es ging, zu Wort. Die Steinewerfer konnten sich im Einklang mit dem Rest der Gesellschaft fühlen.
Nach den tagelang andauernden Ausschreitungen, die die Stadt schockierten, ging Ende September 1992 ein Lokalreporter in den Jugendklubs auf Spurensuche. Die Sozialarbeiterin sagte, dass die wenigsten Gewalt wollten: »Die Jugendlichen sagen nur laut, was andere denken. Sie wollen auf sich aufmerksam machen.« Nach dem monatelangen Gerede über die
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