Eisenkinder
will euch eine neue Heimat geben«, Sigmar machte eine weitere bedeutungsvolle Pause. »Er liebt dich, er liebt jeden Einzelnen hier.«
Es klang kitschig, aber auch tröstlich.
Sigmar setzte nun sein feierliches Gesicht auf. »Ihr könnt Jesus nicht mit dem Verstand fassen, sondern nur mit dem Herzen. Wenn euer Herz jetzt klopft, dann solltet ihr das ernst nehmen als ein Zeichen von Gott. Alle, die Jesus in ihr Herz lassen wollen, bitte ich nach vorn«, sagte er. Ich schaute zu Katharina. Sie rührte keine Miene.
Die Geschichte mit dem Vater, der seinen Sohn sterben ließ, um die Menschen zu retten, gefiel mir in ihrer Einfachheit. Ich wiederholte still den Satz. Gott liebt dich.
Warum nicht? Wer wollte nicht geliebt werden?
Ich gab mir einen Ruck, stand auf und ging nach vorn. Ich schaute mich um und sah beruhigt, dass ich nicht die Einzige war, drei, vier andere Besucher stellten sich neben mich. Wir fassten uns an den Händen. Sigmar legte nacheinander die Hände auf unsere Köpfe und betete für uns. Ich spürte seine warmen Hände und stellte mir vor, dass es Gottes Hände waren.
Ich ließ mich gern in das Gefühl hineinschaukeln: Ich musste bekennen, dass ich gesündigt hatte und dass ich Jesus in mein Herz lasse. Das fiel mir leicht, das klang harmlos. Ich merkte gar nicht, wie ich manipuliert wurde. Ich wollte es vielleicht nicht merken. Ich fühlte mich geborgen in den fremden Händen.
Die anderen Gottesdienstgäste klatschten, fremde Menschen kamen auf mich zu und umarmten und küssten mich. Ich gehörte plötzlich dazu. Vielleicht war es die ganze Zeit um nichts anderes gegangen: das Dazugehören-Wollen.
Ich bekam Geschenke überreicht, ein kleines Päckchen, das mit einer Schleife umwickelt war, darin eine kleine Bibel, Broschüren und Bonbons. Es war wie eine warme Welle, die Hoffnung, Liebe und Trost versprach. Ich fragte mich nicht, woher diese Päckchen kamen, wer das vorbereitet hatte. Wer konnte wissen, dass ich nach vorne gehen würde?
Später erfuhr ich, dass ich an jenem Sonntag an einer missionarischen Großveranstaltung teilgenommen habe, die die Gemeinde alle zwei Jahre organisierte. Alle Mitglieder wurden aufgefordert, Ungläubige mitzubringen. Meine Mitbewohnerin, die Missionarin, hatte nur das gemacht, was sie immer machte.
Ich war nur eine von vielen verlorenen Seelen, die sie gerettet hatte. Jahre später würde sie sich nicht mehr an mich erinnern können.
Nachdem ich Jesus in mein Herz gelassen hatte, war ich auch würdig, zu Katharinas Hochzeit zu kommen. Sie lud mich zu ihrer Feier ein. Ich half ihr, die Rosen auf ihr seidenes Hochzeitskleid zu sticken, das sie selbst entworfen hatte, und bastelte die Tischdekoration. Die Feier fand in einem exklusiven Segelklub an der Alster statt. Es war meine erste Hochzeit, ich erzählte stolz meiner Mutter davon. Dass meine Freundin Katharina eine wiedergeborene Christin war und mich auch konvertiert hatte, das sagte ich nicht.
Ich sprach lieber davon, dass ich neuerdings öfter in die Kirche ginge, ohne das genauer zu differenzieren. Das müsste ihr schmeicheln, da sie doch selbst in meinem Alter in die Junge Gemeinde gegangen ist.
Katharina hatte Frank für die Trauung die Finger mit farblosem Nagellack lackiert, so dass sie glänzten. Sie sahen beide wie Models aus. Das Fest, mit Tänzen und Opernmusik, war eine Show der Eitelkeiten, aber ich dachte, ich würde nie wieder eine stimmungsvollere Hochzeit erleben. Die meisten Gäste gingen am späten Nachmittag. Am Abend war eine kleinere Feier für Freunde und Familie geplant. Ich nahm selbstverständlich an, dass ich dazugehörte.
Ich stand an der Alster auf dem Bootssteg, das Holz knarzte unter meinen Füßen, der Wind strich über meine Haut, ich sah das Wasser, das aussah, als hätte jemand einen Haufen Diskokugeln hineingeworfen. Darauf tanzten die Boote. Hinter den Bäumen am Ufer lugten weiße Villen hervor. An einem sonnigen Tag konnte man fast glauben, man wäre in Italien.
Während ich auf das Wasser schaute, fühlte ich eine Gelassenheit und Freude, die mir fremd war. Und ich dachte, das muss der Gott sein, zu dem ich nun bete. Es konnte kein Zufall sein, dass ich ihn in Hamburg gefunden hatte. Sollte ich vielleicht ganz nach Hamburg ziehen?
Als das Abendessen losgehen sollte, suchte ich nach einem Namensschild. Ich ging mehrmals um die Tische herum, doch ich fand meinen Namen nicht. Ich war davon überzeugt, dass es sich um ein Missverständnis handeln musste. Ich
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