Eiseskälte: Island-Krimi (German Edition)
Sekundenbruchteile einen Mann, der ihm den Rücken zukehrt, mit gesenktem Kopf, scheinbar hat er aufgegeben. Dieser Anblick bringt ihn so aus der Fassung, dass er die Taschenlampe fallen lässt. Sie erlischt.
Er bückt sich, tastet nach ihr, findet sie wieder. Dreimal schlägt er mit ihr auf den Fußboden, dann endlich leuchtet sie wieder, das Zimmer wird einen Moment lang in Licht getaucht. Er nutzt den Moment, bevor sie endgültig erlischt, und sieht sich um, doch der Mann ist verschwunden.
»Was willst du von mir?«, flüstert er in die Finsternis hinein.
Um ihn herum ist es kalt, er hat die Augen halb geschlossen. Er weiß nicht, wie lange es her ist, seit dieses unkontrollierbare Zittern aufgehört hat. Er fühlt seine Arme und Beine nicht, empfindet keine Kälte mehr. Er weiß, dass er bald einschlafen wird, obwohl er dagegen ankämpft. Er will bei Bewusstsein bleiben, solange er kann, aber seine Kräfte schwinden. Er weiß noch, dass er die Sterne sah, als er im Schnee lag.
Durch die Eiseskälte hindurch spürt er, wie ihm die Sinne schwinden.
Fünfzehn
Erlendur fuhr langsam auf den Hof zu. Er sah, dass Bóas aus dem Haus getreten war und ihn erwartete. Er hatte ihn bislang noch nicht besucht, denn Bóas war ein Fremder, auch wenn er ihn bei der Fuchsjagd ein Stück begleitet hatte. Trotzdem hatte er das Gefühl, als hätte er noch etwas mit Bóas zu besprechen, dem Bauern, der versucht hatte, einer toten Füchsin Milch abzupressen.
Bóas hatte den kleinen blauen Jeep, den er einige Mal in Bakkasel gesehen hatte, schon von Weitem erkannt, als er die Auffahrt hochfuhr, und war hemdsärmelig und in Pantoffeln vor die Tür getreten, um Erlendur in Empfang zu nehmen. In seinem Mundwinkel klemmte eine kurze Stummelpfeife. Erlendur stieg aus, und die beiden gaben sich die Hand.
»Ich kann nicht verstehen, wie du es auf dem verlassenen Hof aushältst«, sagte Bóas und ging mit ihm ins Haus. »Die Nächte sind doch jetzt schon richtig kalt.«
»Ich beklage mich nicht«, entgegnete Erlendur.
»Ich versteh mich nicht darauf, Gäste zu bewirten, du bekommst also nur einen Kaffee bei mir«, sagte Bóas. Seine Frau war zu Besuch bei Verwandten in Egilsstaðir, und es war Bóas anzuhören, dass ihm nicht sonderlich viel an dieser Verwandtschaft lag.
Sie ließen sich in der ordentlichen Küche nieder. Bóas stellte zwei Tassen auf den Tisch, goss Kaffee ein und gab einen ordentlichen Schuss Milch in seine, bis der Kaffee hellbraun wurde und die richtige Temperatur hatte. Anschließend nuckelte er an seiner Pfeife und machte seiner Empörung über Staudämme und Aluminiumwerke und die verfluchten Kapitalisten Luft, die die Politiker zum Narren hielten.
»Hast du etwas Neues über Matthildur herausgefunden?«, fragte er dann ganz direkt, so als würde Erlendur offiziell in einem Vermisstenfall ermitteln, der mehr als sechzig Jahre zurücklag.
»Nein, nichts«, sagte Erlendur und zündete sich zur Gesellschaft eine Zigarette an. »Da kann sich auch nichts Neues ergeben. Sie ist in diesem Unwetter umgekommen. Dergleichen ist doch schon häufig genug passiert.«
»Oh ja, ganz sicher«, sagte Bóas und trank einen Schluck seines milchigen Kaffees. »Dergleichen ist schon häufig genug passiert.«
»Hast du vielleicht ihre Schwestern gekannt? Zwei sind nach Reykjavík gezogen. Eine lebt noch, und zwar in Reyðarfjörður.«
»Hrund kenne ich natürlich ganz gut«, entgegnete Bóas. »Eine grundanständige Person. Hast du dich mit ihr unterhalten?«
Erlendur nickte.
»Aha, du hast also doch Interesse.«
»Ist dir jemals etwas über die Ehe von Matthildur und Jakob zu Ohren gekommen? Waren ihre Schwestern damit einverstanden?«
»Was hast du herausgefunden?«, fragte Bóas, der sich nicht scheute, seine Neugier offen zu zeigen.
»Nichts«, sagte Erlendur.
»Du sagst mir natürlich nicht die Wahrheit«, entgegnete Bóas. »Nein, ich kann mich nicht erinnern, so etwas gehört zu haben. Waren sie nicht mit der Ehe einverstanden? Wer hätte denn etwas dagegen haben sollen? Und weshalb?«
»Ich frage dich, weil ich es nicht weiß«, sagte Erlendur. »Kennst du einen Mann namens Pétur Alfreðsson? Er ist sicher schon tot.«
»Ja, an den kann ich mich erinnern. Ein Seemann, er ist schon lange tot. Was ist mit ihm?«
»Pétur hat in Tíminn einen Nachruf auf Jakob geschrieben, den einzigen, von dem ich weiß. Ich hab das in der Bibliothek in Egilsstaðir nachgeprüft. Er beschrieb ihn als einen Menschen mit vielen
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