Eisfieber - Roman
er an irgendeinem Punkt der Diskussion offenbar nachgegeben hatte. »Verdammt«, sagte er. »Vergesst bloß nicht, dass ihr mich noch braucht, damit ich euch zeigen kann, wo der Land Cruiser steht. Wenn meiner Familie was zustößt, könnt ihr das vergessen.«
Mit dem fatalistischen Gefühl, dass er blind in die Katastrophe rannte und absolut nichts tun konnte, womit sich das Verhängnis noch aufhalten ließ, führte Kit die drei ums Haus herum zur Hintertür, die wie immer unverschlossen war. Als er sie öffnete, sagte er: »Alles klar, Nellie, ich bin’s «, damit der Hund nicht bellte.
Er betrat die Stiefelkammer, und warme Luft hüllte ihn ein – es war die reinste Wohltat. Hinter sich hörte er Elton sagen: »O Gott, das ist schon besser.«
Kit drehte sich um und zischte: »Leise bitte, ja!« Er fühlte sich wie ein Schullehrer in einem Museum, der versucht, eine Horde übermütiger Kinder zum Schweigen zu bringen. »Je länger die Leute hier pennen, desto leichter wird es für uns, kapiert ihr das nicht?« Er führte sie durch den Flur in die Küche. »Sei brav, Nellie«, sagte er ruhig zu der Hündin. »Das sind Freunde.«
Nigel tätschelte dem Tier den Kopf, und Nellie wedelte mit dem Schwanz. Dann zogen alle ihre nassen Jacken und Mäntel aus. Nigel stellte die Aktentasche auf den Küchentisch und sagte: »Setz Wasser auf, Kit.«
Kit legte seinen Laptop ab und stellte das kleine Fernsehgerät an, das auf dem Küchentresen stand. Er suchte einen Nachrichtenkanal, dann füllte er den Wasserkessel.
Eine hübsche Nachrichtensprecherin sagte: »Da überraschenderweise der Wind umschlug, wurden große Teile Schottlands von einem Schneesturm heimgesucht, der selbst für Experten völlig unerwartet kam.«
»Das kannst du laut sagen«, kommentierte Daisy.
Die Stimme der Nachrichtensprecherin klang so verführerisch, als wolle sie die Zuschauer auf einen abendlichen Drink in ihre Wohnung einladen. »In manchen Teilen des Landes sind innerhalb von zwölf Stunden an die vierzig Zentimeter Schnee gefallen.«
»Die vierzig Zentimeter kannst du dir in den Hintern schieben«, sagte Elton.
Kit stellte beklommen fest, dass sich die drei zusehends entspannten. Sein eigener Stress war schlimmer denn je.
Die Sprecherin berichtete von Autounfällen, unbefahrbaren Straßen und aufgegebenen Fahrzeugen. »Zum Teufel damit«, sagte er wütend. »Ich will wissen, wann ’s endlich aufhört!«
»Mach Tee, Kit«, sagte Nigel.
Kit stellte Becher, eine Zuckerdose und ein Milchkännchen auf den Tisch. Nigel, Daisy und Elton setzten sich um den Kiefernholztisch, als wären sie hier zu Hause. Bald kochte das Wasser, und Kit goss sowohl Tee als auch Kaffee auf.
Im Fernseher erschien ein Meteorologe vor einer Wetterkarte. Der Schneesturm, so sagte er, werde ebenso schnell enden, wie er begonnen habe.
»Na, also!«, sagte Nigel triumphierend.
»Schon am Vormittag wird Tauwetter einsetzen.«
»Genauer bitte!«, sagte Nigel aufgeregt. »Um wie viel Uhr?«
»Wir können es immer noch schaffen«, sagte Elton. Er schenkte sich Tee ein und nahm sich Milch und Zucker.
Kit teilte seinen Optimismus. »Wir sollten gleich im ersten Tageslicht aufbrechen«, sagte er und dachte: Licht am Ende des Tunnels! Seine alte Zuversicht kehrte zurück.
»Hoffentlich klappt das«, meinte Nigel.
Elton nippte an seinem Tee. »Mein Gott, jetzt geht’s mir schon besser! So muss sich Lazarus gefühlt haben, als er von den Toten auferweckt wurde.«
Daisy stand auf. Sie öffnete die Tür zum Esszimmer und spähte in die Dunkelheit. »Was ist das da drüben für ein Zimmer?«
»Wo willst du hin?«, fragte Kit.
»Ich brauch ’nen ordentlichen Schuss in diesen Tee.« Sie knipste das Licht an und betrat das Zimmer. Gleich darauf stieß sie einen triumphierenden Schrei aus, und Kit hörte, wie sie die Hausbar öffnete.
Im selben Augenblick betrat Kits Vater die Küche. Er trug einen grauen Pyjama und einen schwarzen Morgenmantel aus Kaschmir. »Guten Morgen«, sagte er. »Was ist denn hier los?«
»Morgen, Daddy«, sagte Kit. »Du, ich muss dir was erklären …«
Daisy kam aus dem Esszimmer, in ihrer behandschuhten Hand eine volle Flasche Glenmorangie.
Stanley sah sie an und zog eine Augenbraue hoch. »Möchten Sie ein Glas Whisky?«, fragte er.
»Nein, danke«, antwortete sie. »Ich hab schon eine ganze Flasche.«
04.15 Uhr
Als sie endlich einen Moment Zeit fand, rief Toni bei Stanley an. Obwohl es kaum etwas
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