Eisfieber - Roman
den Dreck gezogen. Dem drehe ich eher den Hals um, als dass ich mit ihm ausgehe, dachte sie und versuchte sich zu beruhigen. Mitten in einer schweren beruflichen Krise konnte sie ihren Emotionen nicht einfach freien Lauf lassen.
Sie ging zum Empfangstisch an der Tür und sprach Steve Tremlett an, den Werkschutzleiter. »Bleiben Sie bitte hier, bis alle gegangen sind, und achten Sie darauf, dass niemand versucht, hier inoffiziell herumzuschnüffeln.« Ein entschlossener Spion konnte versuchen, sich in die Hochsicherheitsbereiche einzuschleichen, indem er jemanden mit Zugangsberechtigung abpasste und hinter ihm hineinschlüpfte, solange die Tür noch offen stand.
»Überlassen Sie das nur mir«, sagte Steve.
Toni beruhigte sich allmählich. Sie zog ihren Mantel an und ging hinaus. Es schneite jetzt stärker, doch die Demonstranten harrten nach wie vor aus. Toni ging zum Wachhäuschen neben dem Tor. Die Kantinenmitarbeiter schenkten heiße Getränke aus. Die Demonstranten hatten ihre Sprechchöre vorübergehend eingestellt und die Spruchbänder beiseite gelegt. Stattdessen lächelten sie und plauderten miteinander.
Und alle Kameras waren auf sie gerichtet.
Es hat doch alles prima geklappt, dachte Toni. Wieso bin ich dann so deprimiert?
Sie kehrte in ihr Büro zurück, schloss die Tür hinter sich und blieb stehen, heilfroh, eine Minute für sich allein zu haben. Die Pressekonferenz hatte ich voll im Griff, dachte sie. Stanley habe ich Osborne vom Leib gehalten, und der Trick mit den heißen Getränken für die Demonstranten hat funktioniert wie ein Zauberspruch. Natürlich ist das noch kein Anlass zum Feiern, solange wir nicht wissen, was die Reporter daraus machen, aber bis jetzt hat sich eigentlich jede meiner Entscheidungen als richtig erwiesen …
Warum also fühlte sie sich so niedergeschlagen?
Teilweise lag es sicher an Osborne. Eine solche Begegnung konnte jeden fertig machen. Der Hauptgrund für ihre triste Stimmung war jedoch, wie Toni erkannte, Stanley Oxenford. Nach allem, was sie an diesem Vormittag für ihn getan hatte, war er praktisch ohne ein Wort des Dankes verschwunden. Er ist eben der Chef, dachte sie. Und wie wichtig ihm seine Familie ist, weiß ich ja auch nicht erst seit heute. Ich bin nur eine Mitarbeiterin – geschätzt, gemocht, respektiert, aber eben nicht geliebt …
Das Telefon klingelte. Toni starrte den Apparat an und ärgerte sich über das fröhliche Gedudel. Sie wollte mit niemandem reden, nahm aber dann doch ab.
Es war Stanley. Er rief aus seinem Wagen an. »Warum kommen Sie nicht in einer Stunde oder so bei mir vorbei? Wir können uns gemeinsam die Nachrichten ansehen und erfahren, wie es um unser Schicksal bestellt ist.«
Tonis Laune besserte sich schlagartig. Ihr war, als wäre plötzlich die Sonne durch die Wolken gekommen. »Einverstanden«, sagte sie. »Es ist mir ein Vergnügen.«
»Gut möglich, dass man uns nebeneinander ans Kreuz schlägt.«
»Es wäre mir eine Ehre.«
12.00 Uhr
Auf der Fahrt nach Norden begann es heftiger zu schneien. Große weiße Flocken fielen auf die Windschutzscheibe des Toyota Previa und wurden von den langen Scheibenwischern weggefegt. Da die Sicht schlechter wurde, musste Miranda die Geschwindigkeit reduzieren. Der Schnee schien den Wagen schalldicht abzuschotten, denn außer dem leisen Hintergrundgeräusch der Reifen gab es nichts mehr, das mit der klassischen Musik aus dem Radio hätte konkurrieren können.
Die Atmosphäre im Wagen war gedrückt. Hinten hatte Sophie sich Kopfhörer übergestreift und hörte ihre eigene Musik, während Tom völlig in der piepsenden Welt des Gameboys versunken war. Auch Ned sagte kein Wort, sondern beschränkte sich darauf, gelegentlich mit dem Zeigefinger das Orchester zu dirigieren. Während er zu den Klängen von Elgars Cellokonzert in den Schnee hinausblickte, beobachtete Miranda sein ruhiges, bärtiges Gesicht und erkannte, dass ihm überhaupt nicht klar war, wie übel er sie im Stich gelassen hatte.
Er spürte ihre Unzufriedenheit. »Es tut mir Leid, dass Jennifer so ausgeflippt ist«, sagte er.
Miranda warf einen Blick in den Rückspiegel und sah, dass Sophie zur Musik aus ihrem Walkman rhythmisch nickte. Nachdem sie sich davon überzeugt hatte, dass das Mädchen sie nicht hören konnte, sagte sie: »Jennifer war absolut unverschämt.«
»Es tut mir Leid«, wiederholte Ned. Sein eigenes Verhalten zu erklären oder sich gar dafür zu entschuldigen, hielt er
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