Eisige Naehe
hin, sie tippte die Nummer in ihr Handy und wartete. Eine Frauenstimme meldete sich mit »Tönnies«.
»Santos, Kripo Kiel. Frau Tönnies, ist Ihr Mann zu sprechen?«
»Nein, heute nicht. Er ist krank und liegt im Bett. Kann ich etwas ausrichten?«
»Nein, vielen Dank. Wann wird er denn zurück im Dienst sein?«
»Das kann ich nicht sagen, er hat wieder einmal Probleme mit dem Herzen und braucht absolute Ruhe. Es ist auch möglich, dass er in die Klinik geht.«
»Dann wünschen Sie ihm gute Besserung von Lisa Santos und Sören Henning und auch von Professor Jürgens. Er soll sich schonen.«
»Das mach ich, danke schön. Auf Wiederhören.« Santos sah Jürgens an und fragte: »Wusstest du von seiner Herzkrankheit?«
»Nein, ist mir neu. Er sah auch nie so aus, als hätte er was mit dem Herzen. Macht euch euren eigenen Reim drauf. Ciao.«
»Bis bald«, sagte Santos und ging mit Henning zum Auto. Auf der Fahrt ließen sie den Tag Revue passieren. Je länger sie darüber sprachen, desto größer wurde die Anspannung. Irgendwann sagte Henning: »Lisa, wir sollten den Rat von Volker und Klaus annehmen und die Finger davon lassen. Wir begeben uns nur unnötig in Gefahr. An den Zuständen in diesem Land können wir beide nichts ändern. Oder siehst du das anders?«
»Ich bin davon überzeugt, dass ich die Gefahr recht gut einschätzen kann, und weiß, wann ich aufhören muss. Es geht um Albertz. Ich will wissen, welche Informationen er noch für uns hat. Falls er sich nicht mehr meldet, hören wir auf. Oder wir setzen uns vorher mit den Frankfurtern in Verbindung, und wenn die uns auch nicht weiterhelfen können, ist wirklich Schluss.«
»Du hast doch aber einen Namen von Albertz bekommen.«
»Richtig. Bernhard Freier. Es wird schwierig sein, an ihn ranzukommen, aber einen Versuch ist es wert.«
Zu Hause drehte Santos als Erstes die Heizung auf. Dann schaltete sie den Fernseher ein und zappte sich durch die Programme, bis sie bei einem Spielfilm hängenblieb.
»Du kannst jetzt fernsehen?«, fragte Henning verwundert.
»Reine Ablenkung. Wenn ich die ganze Zeit nur an den Fall denke, dreh ich durch.« »Ich geh zu Bett, ich bin hundemüde.« »Jetzt schon? Es ist gerade mal kurz nach acht.« »Na und? Ich bin total erledigt und brauche ein bisschen Schlaf. Gute Nacht, und bleib nicht zu lange auf.« »Ich komm später nach, ich bin noch zu aufgedreht.« Henning beugte sich zu ihr, gab ihr einen Kuss und streichelte ihr durchs Haar, was sie normalerweise nicht mochte, doch jetzt am Abend, wo sie nicht mehr nach draußen musste, war ihr gleich, wie ihr Haar aussah. »Gute Nacht. Träum was Süßes«, sagte sie. »Ich will nur schlafen. Gute Nacht. Und versprich mir, nicht mehr zu lange zu machen.« »Versprochen.«
Sie legte sich auf das Sofa. Sie bekam kaum mit, worum es in dem Film ging. Ihre Gedanken waren bei Albertz, Jürgens, Harms, aber auch bei Sören, der in letzter Zeit seinen Biss verloren zu haben schien. Er wirkte oft melancholisch, hin und wieder sogar depressiv, ohne dass er darüber sprach. Doch sie war schon so lange mit ihm zusammen, dass sie jede noch so kleine Veränderung bemerkte. Es war, als hätte dieser Beruf ihn im Laufe der Jahre allmählich von innen zerfressen, als raube er ihm die Seele. Langsam, still und unbemerkt. Hinzu kamen die langjährigen und mittlerweile größtenteils ausgeräumten privaten Probleme, die an ihm genagt hatten. Viel war in seinem Leben schiefgelaufen, und nun schien die Zeit gekommen, da er nicht mehr konnte. Noch waren sie ein gutes Team, er der Pragmatiker und Analytiker, sie der Bauchmensch. Eine perfekte Kombination.
Sie hoffte inständig, er würde eines Tages nicht so enden wie Volker Harms, als Dienststellenleiter, festgeklebt auf seinem Schreibtischstuhl, und Dienst nur nach Vorschrift machen, obwohl Harms ihnen viele Freiheiten gewährte. Dennoch würde sie einen solchen Sören Henning nicht ertragen, dazu war ihr spanisches Temperament zu dominant. Aber vielleicht bildete sie sich manches auch ein, möglicherweise war es nur eine Phase, die Henning durchlebte. Morgen würden sie sich um Bernhard Freier kümmern und darauf hoffen, dass Albertz sich noch einmal meldete. Er war der Strohhalm, an den sie sich klammerten, um herauszufinden, was wirklich hinter dem Fall Bruhns und Steinbauer steckte. Und sie würden sich mit den Kollegen der Frankfurter Mordkommission in Verbindung setzen, um den Namen des Immobilienmoguls herauszufinden, der in den
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