Eisige Naehe
nicht einzuschätzen, war nach wie vor irritiert von seinem gestrigen Auftreten, seiner Lüge über seine vermeintliche Krankheit. Aber er hatte einen Namen genannt - Bernhard Freier. Er hatte gesagt, dass sie und Henning sich mit den Frankfurter Kollegen vom K 11 in Verbindung setzen sollten.
Noch war völlig unklar, welche Rolle Albertz zukam, ob seine angebotene Hilfe ehrlich gemeint oder er nur ein Blender und Täuscher war, ein gewiefter alter Fuchs vom Verfassungsschutz, der alle Tricks des schmutzigen Geschäfts beherrschte. In jedem Fall würden sie diesen Bernhard Freier ausfindig zu machen versuchen und sich einen Plan zurechtlegen, wie sie am besten an ihn herankommen konnten.
Das, was sie von Jürgens erfahren hatte, erinnerte wirklich stark an einen Agententhriller, wobei ihr unklar war, welche Rolle ihr und Sören in diesem undurchsichtigen, perfiden Spiel zukam.
Der Fotograf hatte seine Arbeit beendet, Bilder des Toten aus allen Blickwinkeln gemacht, den gesamten Raum fotografiert und mit der Videokamera aufgenommen, und bedeutete Jürgens mit einer Handbewegung, dass er mit der Erstbeschau beginnen könne.
Jürgens ging in die Hocke, öffnete seinen Koffer, zog die Latexhandschuhe an und begann, den Toten zu untersuchen. Er prüfte die Beweglichkeit der Gelenke, die komplett versteift waren, und maß mit einem Spezialthermometer die Lebertemperatur. »Die Totenstarre ist komplett eingetreten, gemäß der Lebertemperatur dürfte er zwischen zwölf und vierzehn Stunden tot sein. Die Totenflecke sind nicht mehr wegdrückbar. Genaueres wie immer nach der Obduktion. Der Mann ist über einen längeren Zeitraum hinweg gefoltert worden, beide Tatwerkzeuge liegen neben ihm, ein Nietengürtel und ein ...« Er holte ein Maßband aus dem Koffer und fuhr fort: »Fünfundzwanzig Zentimeter langes Tranchiermesser, vermutlich japanischer Herkunft. Todesursache Verbluten durch Schnitt in den Hals mit Durchtrennung der Carotis sowohl links als auch rechts.«
»Hat da jemand seiner Wut freien Lauf gelassen?«, fragte Maren Peters von der Spurensicherung. »Sieht ganz danach aus.« Jürgens wandte sich an Henning und Santos: »Ihr kriegt das Ergebnis so schnell wie möglich, aber erwartet keine Wunder, ich habe noch zwei weitere Leichen auf dem Tisch. Wir werden Überstunden schieben müssen, es sei denn ...« »Was?«
»Nichts, habe nur laut gedacht. Er kann abtransportiert werden.«
Jürgens zog die Handschuhe aus, schloss den Koffer und erhob sich. »Kann ich dich noch mal kurz unter vier Augen sprechen?«, fragte er Santos.
»Klar, ich begleite dich nach unten, brauch sowieso frische Luft.«
Vor der Tür sagte Jürgens: »Ich werde mein Bestes tun, ich hoffe nur, mir wird nicht wieder ein Kollege aus Lübeck vor die Nase gesetzt. Das wollte ich nur gesagt haben.«
Santos wollte etwas erwidern, als ihr Handy klingelte. »Ja?«
»Sie haben ihn gefunden?«
»Sie schon wieder. Haben Sie mit seinem Tod zu tun?« »Vielleicht, vielleicht auch nicht. Sie sollten nur eins wissen - er hat den Tod verdient.«
»Ach ja? Dann werden Sie mir sicherlich auch verraten, warum.«
»Muss ich das? Sie wissen doch inzwischen längst, was Bruhns getrieben hat. Klein war noch schlimmer, viel schlimmer.«
»Was hat er getan?«
»Das erzähl ich Ihnen ein andermal. Machen Sie's gut, ich melde mich bei Gelegenheit wieder.«
Damit legte der Anrufer auf, Santos sah Jürgens an. »Wer war das?«, fragte er.
»Der, der uns zu Bruhns und hierhergeschickt hat. Ich nehme an, er hat die Morde begangen. Er hat gesagt, dass Klein noch schlimmer als Bruhns gewesen sei.« »Wieso? Was hat Bruhns denn Schlimmes verbrochen?« »Kinder.« »Was Kinder?«
»Was wohl? Stell doch nicht solche Fragen, wenn du die Antwort ohnehin schon kennst.« »Er hat Kinder missbraucht?«
»Ja, verdammt noch mal! Alles deutet darauf hin. Es ist sogar möglich, dass er ein kleines Mädchen umgebracht hat. Du hast sie vor einem Jahr auf deinen Tisch bekommen, die unbekannte Tote mit ...«
»Den Brandwunden, den Hämatomen und den Knochenbrüchen?«
»Ja. Aber dass Bruhns etwas mit ihrem Tod zu tun hat, ist noch nicht erwiesen und schon gar nicht spruchreif.« »Habt ihr inzwischen einen Namen von der Kleinen?« »Angeblich heißt sie Nele, einen Nachnamen haben wir nicht. Wenn sie aus Osteuropa stammt, werden wir das ohnehin niemals herausfinden. Aber das sind Informationen, die bis jetzt nur Sören und ich haben, nur damit du Bescheid
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