Eisige Naehe
wusste, welche davon stimmten und welche nicht. »Warum rast du so?«, fragte Henning. »Ich rase doch überhaupt nicht«, antwortete sie kurz angebunden.
»Doch, tust du. Was ist auf einmal los mit dir?« »Nichts«, fauchte sie.
»Alles klar. Wieso bist du so gereizt, wenn nichts ist?« »Es kotzt mich alles an.«
»Mich auch, Lisa, mich auch, ich versuche aber, mich zu beherrschen ...«
»Ich beherrsche mich ja«, sagte sie und blickte stur geradeaus auf die Straße, um im nächsten Augenblick an den Straßenrand zu fahren und anzuhalten. Sie legte die Stirn auf das Lenkrad und fing an zu weinen.
Henning beugte sich zu ihr und legte einen Arm um sie. »Du bist fertig, das ist alles zu viel ...« »Ich kann nicht mehr«, schluchzte sie und wischte sich die Tränen mit dem Handrücken ab. »Andauernd dieser Druck, dieser verdammte Druck! Die ganze Zeit musst du stark sein und darfst dir möglichst nichts anmerken lassen, es könnte ja als Schwäche ausgelegt werden ...« »Glaubst du, mir geht das anders? Aber du kannst dich auf mich verlassen, ich bin für dich da. So ist es doch immer bei uns, wenn einer down ist, ist der andere für ihn da. Das macht letztendlich unsere Beziehung aus. Ich liebe dich und kann dich nur zu gut verstehen.« »Ehrlich?«, fragte sie und sah ihn mit verweinten Augen an.
»Na klar doch. Wir beide sind ein eingeschworenes Team, nur gemeinsam sind wir stark. Wenn's dem einen schlechtgeht, baut der andere ihn wieder auf«, sagte er lächelnd und streichelte ihr sanft über das Haar. »Ich weiß, und es tut mir leid, dass ich ...« »Nein, du brauchst dich nicht zu entschuldigen, wofür denn? Wir sind doch keine Roboter, sondern Menschen. Wir sind nur Menschen, auch wenn gerade von uns oft sehr viel verlangt wird. Soll ich weiterfahren?« »Hm. Ich liebe dich auch«, sagte Santos, bevor beide ausstiegen und um den Wagen herumgingen. Henning setzte sich hinters Steuer und fuhr los. »Geht's wieder?«, fragte er.
»Ja, es war nur ... Es kam wie aus heiterem Himmel.« »Ich kenne das.«
Sie schwiegen eine Zeitlang. Dann sagte Santos: »Ich wünschte mir, Albertz würde anrufen und uns um ein Treffen bitten.« »Und dann?«
»Dann würde ich versuchen, ein für alle Mal Klarheit zu schaffen. Die unzähligen offenen Fragen stinken mir. Ich will endlich wissen, was wirklich gespielt wird und welche Rolle wir einnehmen. Ich will Klarheit.« Nach einer kurzen Pause sagte Henning: »Lass uns was essen, ich brauch was Anständiges im Magen.« »Restaurant oder Imbiss?«
»Restaurant. Wir nehmen uns was zu schreiben mit und gehen alle Punkte durch, hinter denen ein Fragezeichen steht...«
Santos' Handy klingelte, auf dem Display erschien die Nummer von Claudia Bartels.
»Ja?«
»Ich bin's, Klaus. Ganz kurz nur: Ich habe hier jemanden reingekriegt, der gestern Abend im Steigenberger verstorben ist. Laut seinen Papieren ein gewisser Dieter Uhlig, aber so heißt er nicht, denn ich kenne diesen Typen persönlich, weshalb ich ihm auch eine Vorzugsbehandlung zuteilwerden lasse. Sein Name ist Bernhard Freier, und er arbeitet beziehungsweise arbeitete beim Verfassungsschutz. Er war schon etliche Male in meinen heiligen Hallen. Mehr habe ich nicht zu sagen ...«
»Augenblick, nicht so schnell. Woran ist er gestorben?« »Keine Ahnung. Er wurde mitten in der Nacht in seinem Auto gefunden, es sieht alles nach Herzinfarkt aus, aber irgendwie glaube ich das nicht. Ich wollte es euch nur mitteilen. Außerdem habe ich die DNA gefunden, was ich aber niemandem außer euch mitteilen werde. Ihr behaltet das bitte auch für euch.«
»Klar. Kennst du einen Karl Albertz, ebenfalls Verfassungsschutz?« »Nein, nie gehört. Warum?«
»Erzählen wir dir, wenn wir mal unter uns sind, vielleicht bei einem Essen oder bei Murphy's. Danke für die Info, und gib mir Bescheid, solltest du eine unnatürliche Todesursache feststellen.«
»Mach ich, ich muss aber vorsichtig sein, ich habe auch extra von Claudias Telefon aus angerufen.« Jürgens legte auf, ohne eine Erwiderung abzuwarten. »War das Klaus?«
»Hm. Letzte Nacht wurde ein Mann vom Verfassungsschutz tot im Steigenberger aufgefunden. Rate mal, um wen es sich handelt?« »Keine Ahnung.«
»Bernhard Freier. Aber er hatte falsche Papiere bei sich, das heißt für mich, er war in geheimer Mission unterwegs. Klaus sagt, es sieht nach einem Herzinfarkt aus ...« »Wer's glaubt, wird selig«, stieß Henning hervor und parkte den Wagen vor einem Restaurant in der
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