Eisige Naehe
...«
»Was man ihr in keinster Weise ansieht. Sie erinnert mich ein wenig an die Loren, die auch in einen Jungbrunnen gefallen zu sein scheint. Komm, gib zu, dass sie dir gefällt.«
Henning hatte sich mögliche Antworten auf mögliche Fragen bereits zurechtgelegt und sagte: »Sie sieht für ihr Alter ziemlich gut aus, da geb ich dir recht. Aber hast du gemerkt, wie sie uns die ganze Zeit über gemustert hat, auch wenn sie so tat, als wäre unser Besuch das Selbstverständlichste von der Welt?«
»Du lenkst ab, du kannst ruhig zugeben, dass sie dir gefällt, mir gefällt sie nämlich auch. Wenn ich in dem Alter auch nur annähernd so aussehe wie sie, wäre ich mehr als zufrieden. Und du hast recht, ich habe bemerkt, wie sie uns taxiert hat. Doch was hätten wir an ihrer Stelle getan? Sie hat sich und ihr Leben im Griff, sonst könnte sie nicht so selbstbewusst auftreten. Irgendwie bewundernswert. Sie kam nicht unsympathisch oder exaltiert rüber, ganz im Gegenteil. Sie hat ein besonderes Charisma. Ich mag die Frau irgendwie, auch wenn ich sie nur kurz gesehen habe.«
»Aber sie hat einen Auftragskiller angeheuert, um ihren Mann umbringen zu lassen. Das ist kein sehr feiner Zug.«
»Wenn ihr Mann wirklich so ein Verbrecher war, kann ich es ihr nicht verdenken«, erwiderte Santos.
»Du nimmst sie in Schutz? Das heißt also, du billigst, was sie getan hat?«, entgegnete Henning.
»Ich weiß nicht, wie ich an ihrer Stelle gehandelt hätte.
Und ehrlich, würde ich die Mistkerle, deretwegen meine Schwester im Pflegeheim ist, in die Finger kriegen, ich ...
Ja, ja, schon gut, als Polizistin darf ich so was nicht mal denken. Aber ich tu's manchmal trotzdem. Schumann war ein Großkrimineller, der von allen Seiten gedeckt wurde und tun und lassen durfte, was er wollte. Das hat er weidlich ausgenutzt, zumal die Big Bosse auch etwas von ihm wollten, nämlich Kinder und Frauen ... Frau Schumann ist keine eiskalte Mörderin, sie musste eine Entscheidung für sich und ihre Töchter treffen und ganz bestimmt auch für andere Menschen, die sonst noch unter ihrem Mann gelitten hätten oder direkt oder indirekt durch ihn gestorben wären. Doch dann kam für sie alles noch viel schlimmer.« »Ich kann dir nicht ganz folgen.«
»Na ja, sie dachte vielleicht, dadurch würde endlich Ruhe in ihr Leben einkehren. Doch das Gegenteil war der Fall. Albertz hat sie genötigt, für ihn oder für die Organisation zu arbeiten. Sie ist vom Regen in die Traufe gekommen. Sie hatte gedacht, den Mord an ihrem Mann würde allein die Polizei bearbeiten, davon wären wohl die meisten ausgegangen, aber sie hat sich getäuscht. Albertz hatte sie nicht auf ihrer Rechnung, wahrscheinlich dachte sie, die Kontaktleute ihres Mannes würden sich für sie nicht interessieren. Dass der Verfassungsschutz sich an sie halten würde, damit konnte sie nicht rechnen, also hat sie nur den Mordplan geschmiedet, aber nicht vorausschauend geplant. Ist das jetzt deutlich genug?« Henning sah aus dem Seitenfenster, überlegte und nickte zustimmend. »Klingt logisch. Sie hat unser Phantom engagiert, und das hat so hervorragende Arbeit geleistet, dass der Verfassungsschutz Interesse an ihm hatte. Apropos Albertz. Wieso hat sie ausgerechnet seinen Namen genannt? Kalkül oder Naivität? Wollte sie uns austesten und sehen, wie wir auf den Namen reagieren? Was meinst du?«
»Keine Ahnung. Aus dem Bauch heraus würde ich sagen, sie wollte uns auf die Probe stellen. Hast du ihren Blick bemerkt, als sie sich von uns verabschiedet hat? Das war Spott pur, nein, ich verbessere mich, sie wirkte belustigt, das ist der richtige Ausdruck. Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr bin ich davon überzeugt, sie wusste von Anfang an, dass wir nicht wegen Bruhns gekommen sind. Sie hat sich außerordentlich gut unter Kontrolle. Fragt sich nur, warum sie in Kiel ist, gerade jetzt, wo gleich mehrere Menschen umgebracht wurden. Warum ausgerechnet jetzt?«
»Immerhin wissen wir nun ungefähr, wo Albertz wohnt. Bismarckallee, den Kreisel kenn ich«, sagte Henning. »Der werte Herr hat nicht damit gerechnet, dass wir Frau Schumann einen Besuch abstatten würden.« »Kann schon sein.«
Santos gab Gas, sie wurde auf einmal immer wütender, je weiter sie sich von Sarah Schumanns Haus entfernten, ohne genau sagen zu können, was sie so wütend machte. Ihr war auf einmal alles zu viel, die Dinge schienen ihr über den Kopf zu wachsen, dazu kamen die verwirrenden Fakten, von denen sie nicht
Weitere Kostenlose Bücher