Eisige Versuchung
einzuschlummern, wachte sie langsam auf, denn etwas Weiches strich von ihrer Stirn hinab zu ihrer Ohrmuschel und tiefer über ihren Hals. Zarter Flaum.
Leise stöhnte sie. Ihre Lider flatterten, aber noch ließen sie sich nicht öffnen.
Die Erinnerungen kehrten zurück, träge und bruchstückhaft. Arthur vor der Hütte liegend, dahingestreckt und blutüberströmt wie die Beute eines Jägers. Kurz darauf Art in einem Erdloch unter dem Ahorn, nah bei seiner Joan, vereint im Tod. Ein Mann kniete davor. Sein knackiger Hintern steckte in Lederhosen, die Arthur getragen haben musste, als er noch jung gewesen war. Vielleicht hatte er sie aus einem sentimentalen Grund behalten und nicht weggeworfen. In ihrem Halbschlaf stellte Shade sich vor, dass er geahnt hatte, dass sie eines Tages einen neuen Besitzer finden würden.
Der kniende Mann schaute in das Grab und verzog keine Miene. Aber sein Blick flackerte, und Shade wusste, dass er in seinem Inneren die Tränen vergoss, so wie sie selbst es schluchzend tat.
Aus dem Augenwinkel heraus sah Shade etwas Weißes. In ihrem Traum schaute sie genauer hin. Schnee, natürlich! Aber da war auch etwas anderes. Federn. Sie waren in der Winterlandschaft kaum auszumachen, und im ersten Moment glaubte Shade schon, sie hätte sie sich nur eingebildet. Neugierig blinzelte sie.
Ihr Bild stellte sich scharf, und sie erkannte Flügel. Sie ragten hinter dem Mann mit dem muskulösen Oberkörper hervor und wölbten sich wie ein Dach über das Grab, um Arthur vor den herabfallenden Flocken zu schützen.
Schwingen.
Er war ein Engel.
Roque!
Überrascht sog sie laut die Luft ein, nicht nur im Traum, sondern auch in der Wirklichkeit. Sie schlug die Augen auf und sah ihm geradewegs ins Gesicht. Wie ein Raubtier hockte er über ihr und betrachtete sie mit einem sexuellen Hunger, der ihre eigene Lust erwachen ließ wie ein Echo.
Nachdem sie in der Nacht Arthur beerdigt hatten, hatte sie sich nur kurz auf sein Bett legen wollen. Sie war so erschöpft gewesen, als wäre sie einen Marathon gelaufen.
Außerdem hatte sie Zeit gebraucht, um zu verarbeiten, was geschehen war. Zwar hatte sie den Grund für den verfrühten Winter rasch gefunden, doch hatte sich dieser als zirka einen Meter neunzig großer äußerst attraktiver Eisengel entpuppt, der aus der Hölle kam. Ein Krieger des Eisigen Lords, geschickt, um jemanden in die frostige Finsternis zu holen und somit vom Erdball auszulöschen. Eigentlich durfte er keine Zeugen dulden. Doch statt sie zu töten, begehrte er sie. Noch.
Arthurs Tod nahm Shade mit. Sie hatte den alten Einsiedler kaum gekannt, ihn aber sofort ins Herz geschlossen. Sie versuchte, sich damit zu beruhigen, dass er nicht mehr miterleben würde, wie er erblindete, was unweigerlich zu einem Umzug in ein Seniorenheim in der Stadt geführt hätte. In solch einer Einrichtung, angewiesen auf Hilfe, wäre er kreuzunglücklich gewesen! Dennoch gab dieser Gedanken nur einen schwachen Trost ab.
Shade streckte ihre Hand aus, zog sie jedoch wieder zurück. »Darf ich sie berühren?«
Er nickte und bog ihr seinen rechten Flügel entgegen.
Sanft ließ sie ihre Fingerspitzen über die Federn gleiten. »Ist das …?«
»Erregend?« Er lächelte frivol. »Es ist schön, aber eine erogene Zone befindet sich nur dort, wo die Schwingen mit dem Rücken verbunden sind.«
Gut zu wissen, dachte sie, behielt diesen Gedanken aber für sich.
»Zieh dich aus!« Erst jetzt fiel ihr auf, dass er seine Hose nicht mehr trug. Sein Schaft stand steif von seinen Lenden ab. Obwohl es zwischen ihren Schenkeln heiß wurde und ihre Brustspitzen sich wie auf Kommando zusammenzogen, runzelte sie in gespielter Empörung die Stirn. »Du hast noch nichts geleistet!«
»Ich verlange einen Vorschuss.«
Sie schnaubte. »Woher weiß ich, dass du danach nicht für immer verschwindest, statt mir bei der Suche nach Arthurs Mörder zu helfen?«
»Das weißt du nicht.« Er leckte über seine Unterlippe.
Demonstrativ verschränkte Shade im Liegen die Arme vor dem Oberkörper. »Dann will ich mich dir nicht hingeben.«
»Natürlich willst du.« Sein unverschämt überlegenes Lächeln machte ihn nur noch anziehender. »Ich kann deine Lust spüren.«
»Du bist kein … kein …« Es fiel ihr schwer, diesen Gedanken auszusprechen, aber sie tat es dennoch, weil er nicht abwegiger war, als an Engel zu glauben: »Werwolf.«
»Ich bin ein übernatürliches Wesen. Meine Wahrnehmungsfähigkeit übersteigt die eines Menschen bei
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