Eisige Versuchung
klirrend kalt war, drehte Shade die Heizung herunter. Für einen Moment hatte sie geglaubt, er würde sie küssen, doch er tat es nicht, sondern lehnte sich wieder in seinem Sitz zurück. Aber er hatte denselben Wunsch gehabt, denn er hatte kurz ihre Lippen angeschaut.
Er versteckte seine Gefühle, wohl um sie vor sich zu schützen. »Dummer Kerl!«, dachte sie und hätte ihn am liebsten fest an sich gedrückt, aber sie lenkte ja das Auto.
Da sich das Mono County Sheriff’s Department am Ende der Hauptstraße befand, pirschte Shade sich über einen Parallelweg heran und stellte den Geländewagen in einer Reihe am Rand parkender Fahrzeuge ab, sodass sie den Eingang im Auge behalten konnten, ohne selbst aufzufallen.
»Das ist er!« Kaum hatte sie den Motor abgestellt, kam der Mann, der Arthur auf dem Gewissen hatte, aus dem Gebäude, als hätte er seine Verfolger gerochen.
Earl Hartcourt war ein Mann von eher kleiner Statur, aber er ging so aufrecht, als hätte er einen Stock verschluckt. Indessen ließ ihn nicht seine Haltung, sondern sein erhabener Gesichtsausdruck einen Kopf größer wirken. Er grüßte jeden, der an ihm vorbeiging, und strahlte dabei eine Überlegenheit aus, die selbst Shade beeindruckte. Sein Blick war wachsam wie der einer Dogge. Shade erschauderte. Dieser Kerl machte ihr eine Gänsehaut.
Sie wollte ihren Wagen erneut starten, um sich an seine Fersen zu heften, doch Roque legte seine Hand auf die ihre und hielt sie auf. »Nicht nötig.«
Die Berührung – Haut auf Haut – lenkte sie kurz ab. Shade blickte ihn an. Er lächelte, weil er sie durchschaute, zeigte dann jedoch auf den Sheriff.
Bevor Hartcourt in Patty’s Café neben dem Polizeirevier eintrat, spuckte er in seine Handfläche und strich sich die Haare rechts und links neben seinem Seitenscheitel, der akkurat war, als hätte er ihn mit einem Lineal gezogen, glatt. Seinen linken Arm drückte er eng an seine Seite, damit die Zeitung, die unter seiner Achsel klemmte, nicht herabfiel.
»Er will wohl in Ruhe lesen, was es Neues im Mono County gibt, ohne von seinen Kollegen gestört zu werden.« Shade richtete sich innerlich schon auf eine lange Wartezeit ein. Observationen waren nicht ihr Fall, das wusste sie jetzt schon.
»Oder auch nicht.« Mit einem Nicken deutete Roque auf ihre Zielperson.
Hartcourt war anscheinend verabredet, denn er ging schnurstracks auf einen etwa gleichaltrigen Mann zu. Dieser erhob sich und reichte ihm die Hand, wobei er eine professionelle Distanz wahrte. Mit seinem grauen Anzug wirkte er zwischen all den Frauen und Männern in dicken Winterpullovern fehl am Platz.
Shade fand es merkwürdig, wie der Sheriff auf die Straße hinausspähte, in alle Richtungen, als wäre es ihm unangenehm, am Fenster zu sitzen, wo jeder ihn sehen konnte. Dennoch nahm er Platz.
Es wurde allerdings noch seltsamer, denn die Bedienung kam, begrüßte ihn und holte einen Stift und einen Notizblock aus ihrer Schürze, aber Earl schüttelte den Kopf, sodass ihr freundliches Lächeln augenblicklich erstarb. Die Kellnerin rümpfte die Nase und wandte sich ab.
Wenn er nicht einmal etwas trinken wollte, warum hatte er dann eine Tageszeitung mitgebracht? Um sie seinem Besuch zu schenken oder ihm einen Artikel zu zeigen? Er legte sie in die Mitte des Tischs und tätschelte sie. Entspannt lehnte er sich zurück.
»Der Geschäftsmann hat dieselbe Gazette bei sich!«, rief Shade erstaunt aus. Er holte sie aus seinem schwarzen Aktenkoffer, der zu seinen Füßen stand, und bog sie hin und her. »Sie ist sogar ebenfalls zwei Mal zusammengefaltet wie die von Hartcourt.«
»Aber sie ist dicker.«
»Das kannst du von hier aus erkennen?«
»Ich bin ein Engel.«
Shade presste ihre Kiefer aufeinander. Mit diesem Satz erinnerte er sie an den Graben zwischen ihr und ihm. »Abgerichtet durch deinen Herrn, ich weiß.«
Eine Weile unterhielten die beiden Männer im Café sich locker, dann verabschiedete Hartcourt sich, nahm eine Zeitung und ging ins Sheriff’s Department zurück.
Shade schlug auf das Armaturenbrett. »Er hat die Ausgabe des anderen mitgenommen.«
»Das konntest du von hier aus erkennen?«, fragte Roque sarkastisch.
Warnend blinzelte sie ihn an. »Ich bin eine Frau. Wir nehmen Details wahr.« Ihre Mundwinkel zuckten, sie konnte einfach nicht ernst bleiben, und zwinkerte.
»Denkst du dasselbe wie ich, dass etwas in das Papier eingewickelt ist?«
Der Geschäftsmann zahlte und trat aus Patty’s Café ins Freie. Missmutig
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