Eisige Versuchung
mir waren das gute Menschen.«
Er sprach in der Vergangenheit von ihnen. Das beunruhigte Shade zutiefst. Sie drehte sich zu ihm um und stutzte. Staunend ließ sie ihren Blick über ihn gleiten. »Deine Haare …«
Das Lederband, mit dem er seinen Schopf im Nacken zusammenhielt, hatte sich gelöst. Einige Strähnen lagen über seiner Schulter nach vorn, doch er betrachtete sie erst jetzt.
Dass er nichts dazu sagte, ärgerte Shade. Wollte er etwa weiterhin so tun, als nähme er seine optische Veränderung nicht wahr? »Sie sind braun.«
Er zuckte mit den Achseln.
»Als wir uns zum ersten Mal im Wald begegneten, waren sie weiß wie Schnee, bei Bill Gold in der Bridgeport Medical Clinic leuchteten sie weizenblond, und jetzt …«
Roques Brummen unterbrach sie. »Ich sehe es.«
»Und deine Augen«, sie hielt sein Kinn fest, damit er sie anschaute, »hatten ihre Farbe von Hellblau zu Grün gewechselt, doch nun schimmern sie haselnussbraun.«
Er stand auf, ging zum Fenster und zog die Gardinen einen Spaltbreit auf. Während er seinen Zopf neu band, schaute er auf die Straße hinaus, und Shade wurde das Gefühl nicht los, dass er dies nur tat, um ihr seine Kehrseite zuzudrehen und somit das Gespräch zu beenden.
Obwohl sie noch immer zugedeckt war, fühlte sie sich mit einem Mal nackt, kalt und einsam. »Auch dein Teint ist dunkler. Du erinnerst nicht mehr an eine Eisskulptur, sondern eher an einen irdischen Gladiator.«
»Bin ich aber nicht. Mein Aussehen spielt keine Rolle.« Wie ein Soldat stapfte er um das Bett herum. »Ich bin nach wie vor an meinen Meister gebunden.«
Leider hatte er damit recht, seine Schwingen bewiesen es. »Was hat es mit deinen Brustschmerzen auf sich?«
Ohne ihr zu antworten, hob er seine Hose vom Boden auf und zog sie an, dann schlüpfte er in seine Stiefel. Der Flaum auf seinem Rücken, der sonst blütenweiß strahlte, war nun von einer stumpfen Farbe wie mattes Elfenbein.
Langsam wurde Shade sauer. »Bestraft der Lord dich auf diese grausame Art und Weise, weil du deine Zeit mit mir verbringst und dich amüsierst?«
»Wenn er das wüsste, wäre ich längst nicht mehr auf der Erde.« Sein Gesicht glich einer starren Maske.
Welche Gefühle in ihm tobten, konnte sie nur erahnen. In seinen Augen erkannte sie Leid, aber seine Lippen presste er trotzig aufeinander. Seine gerunzelte Stirn zeigte ihr, wie angespannt er war. Er ließ seine Schultern hängen. In diesem Moment wirkte er wie ein alter Mann, der schon zu viel erlebt hatte, als dass er jemals wieder glücklich werden konnte.
»Rede mit mir!« Sie kniete sich aufs Bett und legte ihre Hände in ihren Schoß. Nervös spielte sie mit ihren Fingern.
Doch Roque kam ihrer Bitte nicht nach, sondern griff sein Hemd und schaute auf einen Punkt hinter ihr, als er sagte: »Frauen wollen immerzu reden, alles analysieren. Wozu soll das gut sein? Es führt zu nichts.«
»Worte können Kriege beenden.«
»Und Kriege anzetteln.« Er schnaubte. »Der Teufel lässt nicht mit sich reden, und wir beide könnten Tage und Nächte durchdiskutieren, wir würden trotzdem unser Schicksal nicht ändern.«
»Wohin gehst du?« Sie sprang auf, und er streckte abwehrend seine Arme aus, um sie daran zu hindern, näher zu kommen.
Trocken entgegnete er: »Jagen.«
»In deinem Zustand?« Seine Flügel hingen traurig herab, als hätte er keine Kraft, sie zu benutzen – oder als gehörten sie nicht mehr zu ihm. Sie wirkten wie ein Fremdkörper an ihm. Die weißen Federn hoben sich unnatürlich von seinem dunklen Teint ab. »Du solltest etwas zu dir nehmen. Lass uns doch zusammen in Patty’s Café frühstücken.«
»Eisengel essen nicht.« Tief atmete er ein und sog damit gleichzeitig auf magische Weise seine Schwingen in das Tattoo ein. »Sie schlafen nicht.« Er zog sein Hemd an, öffnete die Tür und trat auf den Flur hinaus. »Und sie lieben nicht, denn dazu sind sie gar nicht fähig, sie sind innerlich tot.«
Mit diesen Worten, die wie Messerstiche in Shade eindrangen, verschwand er. Ob sie ihn jemals wiedersehen würde, wusste sie nicht. Sie glaubte nicht daran. Tränen schossen ihr in die Augen. Sie hob einen ihrer Schuhe auf und warf ihn gegen die Wand.
»Alle Männer sollen verflucht sein!«, brüllte sie und wusste trotzdem, dass sie nichts lieber wollte, als dass Roque zu ihr zurückkam und sie in seine starken Arme nahm.
Doch er blieb weg, zumindest eine halbe Stunde lang.
Nachdem Shade geduscht, ihre Morgentoilette beendet und sich
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