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Eisige Versuchung

Eisige Versuchung

Titel: Eisige Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Henke
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und zeigte auf die Blondine hinter ihr. Nur wenige Sekunden lang ließ sie die Plastiktüte auf ihrem Schoß los, dann krampften ihre Finger sich erneut darum zusammen. »Das ist meine Tochter Jody Browne.«
    Roque nickte der Fremden lediglich zu, nicht etwa aus Unhöflichkeit, sondern weil er unfähig war zu sprechen. Seine Zunge klebte am Gaumen, und der Kloß in seinem Hals raubte ihm fast den Atem.
    »Nun, da ich allein bin, werde ich mit ihr nach Fort Collins ziehen.« Als Jody ihre Hand auf Aloras Schulter legte, streichelte die alte Dame liebevoll darüber. »Sie ist nur wegen der Trauerfeier von Colorado nach Texas gekommen und hätte dadurch beinahe ihren Job bei einer Telefongesellschaft verloren. Die wollten ihr nämlich nicht freigeben, stellen Sie sich das vor! Kaum zu glauben, wie hartherzig manche Menschen sind!«
    Roque wurde übel. Unauffällig zog er mit einem Fuß den Mülleimer heran, um sich darin übergeben zu können, sollte ihm der Burrito, der in seinem Magen gärte, hochkommen. Nicht nur, dass er sich angesprochen fühlte, sondern eine düstere Vorahnung erfasste ihn. »Corkey …?«
    »Der ganze Ärger schlug ihm aufs Herz.« Alora spielte mit dem Ring an ihrer Kette. Mit feuchten Augen küsste sie ihn. »Der Kauf von Bob Porches Haus, das viel zu weit abseits lag, herauszufinden, dass es in Wahrheit eine Ruine war, unsere Bemühungen, es notdürftig zu renovieren, sich einzugestehen, zu alt dafür zu sein, die Hypothek, die wir für das Gewinnspiel aufnahmen, nur um zu entdecken, dass es sich um ein Schneeballsystem handelte, der Umzug zurück in die Stadt in eine winzige heruntergekommene Wohnung und in einem Viertel, das wir früher gemieden haben, die ermüdenden Gespräche mit Ihnen, die vielen Tränen, die Verzweiflung und der Selbsthass.«
    »Selbsthass?!«, echote Roque erstaunt.
    Jody neigte sich über ihre Mutter und blinzelte ihn wütend an. »Er hätte Groll gegen Sie und nicht gegen sich selbst hegen sollen!«
    »Bitte!« Alora hob einen Arm, um ihrer Tochter Einhalt zu gebieten. »Mr. Rodriguez wird eines Tages von Gott gerichtet werden, nicht von uns, Liebes.«
    Das Blut wich aus seinem Gesicht in untere Regionen seines Körpers. Er war froh, dass er saß, weil ihm schummrig wurde. Roque glaubte nicht an Gott. Er war ihm nie begegnet, noch hatte er einen Beweis seiner Existenz gesehen. Trotzdem bekam er Angst. Ihm war, als hätte die alte Dame ihn soeben verflucht, als hätte sie ihn mit dem unsichtbaren Buchstaben S für »Sünder« gebrandmarkt, damit er nach seinem Tod erkannt und von einer höheren Macht bestraft werden konnte. Und sie hatte jedes Recht dazu, denn er hatte den Cusacks übel mitgespielt. Das sah er nun, da er jegliche Hoffnung darauf, das Stigma des Losers loszuwerden, verloren hatte und der krampfhafte, ja sogar krankhafte Ehrgeiz verdampft war, endlich ein. Er war wieder klar im Kopf. Doch jetzt trug er ein neues Zeichen, und das war weitaus schlimmer.
    »Corkey war der Meinung, dass er Schuld an unserem Bankrott hatte«, fuhr Alora fort. Als sie sich durch die Haare fuhr, konnte Roque Schorf erkennen. Sie musste sich ihre Kopfhaut blutig gekratzt haben. »Wissen Sie, er war noch von der alten Schule, dachte, als Mann im Haus trüge er die Verantwortung für alles. Dabei trafen wir Entscheidungen gemeinsam.«
    Jody zischte wie eine Schlange. »Sie haben meine Eltern beim Kauf des Porch-Grundstücks und bei dem Pyramidensystem übers Ohr gehauen!«
    Roques Nackenmuskulatur verkrampfte sich augenblicklich so stark, dass er Kopfschmerzen bekam. Unbewusst rutschte er in seinem Stuhl tiefer. Ja, das hatte er. Aber was hatte es ihm gebracht? Nichts. Er war fertig. Und die beiden Damen trampelten zusätzlich auf ihm herum. Zu Recht! Er war ein Schwein gewesen, aber in dieser Welt würde ihn niemand verurteilen können. Das verschaffte ihm jedoch keine Genugtuung, denn er fühlte sich mies. Innerlich zerfraß es ihn, Alora Cusack, nur noch ein Schatten ihrer selbst, vor sich zu sehen und aufgezählt zu bekommen, was er ihr und ihrem Mann angetan hatte. Aus Geltungssucht. Aber auch aus mangelndem Selbstbewusstsein.
    »Bis wir Ihnen begegneten und vertrauten, war Corkey kerngesund gewesen. Vierzig Jahre lang hatte er mit mir unseren Tabakladen in Corpus Christi geführt und nicht einen Tag gefehlt.« Tränen rannen Aloras Wangen herab. Ihre Tochter reichte ihr ein Papiertaschentuch, und die alte Dame tupfte damit ihr Gesicht trocken. »All die Zeit haben wir uns

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