Eisiges Blut
unten gedrückt. Der Knochen knirschte, dann splitterte er. Frenchie versuchte, erneut zu schreien, aber seine Qual war so groß, dass er keinen Laut hervorbrachte. Das Bein war jetzt nahezu abgetrennt, nur ein paar Fleischfetzen und Knochenreste verbanden es noch mit dem Rumpf. Dr.Gaines durchtrennte auch diese schnell. Er bewegte die Säge vor und zurück, es machte ein feuchtes, pfeifendes Geräusch, und plötzlich fiel das Bein gegen seine blutbespritzte Schürze und ihm auf die Schuhe. Er kümmerte sich jedoch nicht darum, sondern warf die Säge auf das Bett, nahm eine Aderpresse vom Instrumentenwagen und legte sie am sprudelnden Stumpf an. Frenchie war ohnmächtig geworden. Mit den Fingern riss der Arzt an der ausgefransten Haut, holte eine eingefädelte Nadel aus der Schürzentasche und nähte die Wunde mit groben schwarzen Stichen. Als das erledigt war, goss er eine großzügige Dosis Gerstenschnaps über den wie verrückt zuckenden Stumpf und sagte zu Eleanor: »Wie ich sehe, stehen Sie immer noch.«
Ihre Knie zitterten, aber ja, sie hatte sich auf den Beinen gehalten. Und sei es nur, weil sie ihm die Genugtuung nicht gönnte, sie in Ohnmacht fallen zu sehen.
»Dann werden wir ihn jetzt Ihrer Fürsorge überlassen«, sagte er und wischte seine Hände vorn an der Schürze ab. »Und schaffen Sie das hier weg«, fügte er hinzu und stieß das abgetrennte Bein mit der Stiefelspitze beiseite. Er drehte sich um und verließ den Krankensaal. Die ganze Behandlung hatte nicht länger als zehn Minuten gedauert.
Taylor und Smith blieben noch, um die Utensilien einzusammeln und den Wandschirm zusammenzufalten, dann zogen auch sie weiter. Zum Abschied legten sie grüßend einen Finger an die Stirn. »Als Nächstes kommt eine Hand«, hörte sie Taylor sagen, und Smith erwiderte: »Das wird ja nicht lange dauern.«
Das Bett war blutgetränkt und der Boden glitschig, aber Eleanors erste Aufgabe bestand darin, das Bein zu entsorgen. Sie riss das Laken, das bereits halb vom Bett gerutscht war, endgültig los und wickelte das Bein darin ein. Dann warf sie das ganze Bündel in den Abfalleimer, holte einen Eimer Wasser und einen Mopp und ging zurück, um den Boden zu reinigen. Inzwischen war die Sonne aufgegangen, und das Licht, das durch die Ritzen im zugestopften Fenster fiel, schimmerte in einem weichen Hellgelb. Es würde ein schöner Tag werden.
Als sie fertig war, erinnerte sie sich an das saubere Hemd, das sie mitgebracht hatte, und obwohl sie Frenchie um nichts auf der Welt aufwecken wollte, wollte sie ihn unbedingt von dem verlausten Hemd befreien, ihn waschen und ihm ein frisches Hemd anziehen. Er sollte nach diesen entsetzlichen Qualen nicht in solchem Dreck aufwachen. So vorsichtig, wie sie nur konnte, hob sie seine Schultern von der Matratze. Sein Kopf rollte schlaff zurück. Die Haut war kalt, und die Lippen hatten einen bläulichen Schimmer.
»Verzeihen Sie, Missus«, sagte der Soldat im Nebenbett.
Sie blickte auf, ohne Frenchie loszulassen.
»Ich glaube, der Mann ist tot.«
Sie legte ihn wieder hin und hielt eine Hand auf sein Herz. Sie spürte nichts. Sie presste ein Ohr an seine Brust und hörte keinen Ton. Entsetzt taumelte sie zurück. Ein Vogel ließ sich auf der Fensterbank hinter ihrem Kopf nieder und zwitscherte heiter. Die Turmglocke schlug die volle Stunde, und Eleanor wusste, dass Miss Nightingale bald nach ihr suchen würde.
36 . Kapitel 16 .Dezember, 17 : 00 Uhr
Wenn Charlottes Tür um diese Uhrzeit verschlossen war, versuchte sie wahrscheinlich gerade, ihren dringend benötigten Schlaf nachzuholen. Doch Michael hatte keine andere Wahl.
Er klopfte, und als er nicht sofort eine Antwort bekam, klopfte er noch einmal, diesmal etwas lauter.
»Immer mit der Ruhe«, hörte er, während sie in ihren Hausschuhen zur Tür geschlurft kam. Als sie öffnete, trug sie einen Pullover mit Rentiermotiven und eine ausgebeulte lila Jogginghose von der Northwestern University. Als sie Michael sah, sagte sie: »Ich warne dich – ich habe gerade eine Xanax genommen.«
Ihrem schlaftrunkenen Aussehen nach zu urteilen, glaubte er ihr das sofort. »Wir brauchen deine Hilfe, du musst dich um jemanden kümmern.«
»Um wen?«
Wie konnte er ihr das sagen, ohne dass sie glaubte, er wollte ihr einen dummen Streich spielen? »Erinnerst du dich an die Frau? Die, die im Eis eingefroren war?«
»Ja«, sagte Charlotte und unterdrückte ein Gähnen. »Habt ihr sie gefunden?«
»Ja«, sagte Michael, »und, na ja, die
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