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Eisiges Blut

Eisiges Blut

Titel: Eisiges Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Masello
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einen Chor von anfeuernden und spottenden Zurufen und Anweisungen, die kein Jockey je verstehen würde.
    »Halt dich auf der inneren Bahn.«
    »Benutz die verdammte Peitsche.«
    »Worauf wartest du, Charger!«
    »Ascot«, vertraute Sinclair Eleanor an, »ist ein schwieriges Rennen.«
    »Warum?« Auf Eleanor wirkte das Oval weit und einladend, und in der Mitte leuchtete frisches grünes Gras.
    »Der Boden ist äußerst festgetreten. Es verlangt den Pferden einiges ab, ganz anders als in Epsom Downs oder Newmarket.«
    Doch anders als die anderen Rennbahnen, von denen Eleanor noch nie gehört hatte, hatte diese hier den königlichen Segen. Als sie durch die hoch aufragenden schwarzen schmiedeeisernen Tore geschritten war, hatte sie die goldene Krone im Relief bemerkt,
und es war, als betrete sie den Buckingham Palace selbst. Es gab lange Reihen von Verkaufsständen, an denen von einfachem Wasser bis zu kandierten Äpfeln alles verkauft wurde. Allerlei Gäste flanierten umher, von gut gekleideten Gentlemen mit ihren Damen am Arm bis zu verlotterten jungen Burschen, die als Anreißer oder Höker für die Stände und Wagen ihr Glück versuchten. Einmal hätte sie schwören können, dass einer von ihnen etwas stahl. Sinclair, mit Eleanor am einen und Moira am anderen Arm, hatte sich mit vollkommener Selbstsicherheit durch die Menge bewegt und sie dann zu diesem Platz geführt, von dem aus sie, wie er versicherte, den besten Blick auf das Rennen hätten.
    Eleanor schien es ganz gewiss so. Die Pferde nahmen gerade die erste Kurve, und zusammen ergaben sie ein wunderschönes Durcheinander aus Schwarz, Weiß und Braun, farbig ergänzt durch die glänzenden Jacken und Seiden der Jockeys. Die Sommersonne brannte auf das Feld herab, und Eleanor musste sich ständig mit einem Programmheft, das Sinclair ihr beschafft hatte, Luft zufächeln, um die lästigen Fliegen zu verscheuchen. Sinclair stand dicht neben ihr, viel näher, als Männer ihr üblicherweise kamen, und das lag nur zum Teil an der nach vorn drängenden Menschenmenge. Moira hatte sich halb über das Geländer gelehnt, stützte die molligen Arme an den Seiten auf und feuerte Nightingale’s Song an.
    »Mach schon!«, brüllte sie. »Beweg deinen Arsch!«
    Eleanor warf Sinclair einen verstohlenen Blick zu und sie lächelten sich an. Verlegen wandte Moira sich um.
    »Verzeihen Sie, Sir, ich habe mich selbst vergessen!«
    »Das ist schon in Ordnung«, erwiderte Sinclair. »Es wäre nicht das erste Mal, dass jemand hier seinen Gefühlen freien Lauf ließe.«
    In der Tat hatte Eleanor schon Schlimmeres gehört. Die Arbeit im Krankenhaus hatte sie sowohl gegen grässliche Seufzer
als auch verzweifelte Flüche abgehärtet, obwohl es ein Haus war, das sich ausschließlich der Pflege von Frauen mit guter Erziehung widmete. Sie hatte erlebt, wie Damen, die normalerweise wahrscheinlich ein hochanständiges und respektierliches Benehmen zeigten, wütend und aggressiv wurden. Sie hatte gelernt, dass körperlicher Schmerz, und manchmal auch geistige Verwirrtheit, den Charakter eines Menschen bis zur Unkenntlichkeit entstellen konnte. Duldsame Näherinnen hatten geschrien und sich hin- und hergeworfen, so dass Eleanor gezwungen gewesen war, ihre Handgelenke mit Bandagen ans Bett zu binden, und eine Gouvernante aus einem der ersten Häuser der Stadt hatte ihr einmal die Knöpfe ihrer Uniform abgerissen und eine beschmutzte Bettpfanne nach ihr geworfen. Eine Putzmacherin, der man einen Tumor entfernt hatte, hatte sich die Arme mit den Fingernägeln aufgekratzt und auf eine Weise geflucht, wie Eleanor es vielleicht bei Matrosen erwartet hätte. Leid, das hatte sie gelernt, veränderte alles. Manchmal erhöhte es die Seele, auch das hatte sie erlebt, aber viel öfter als allgemein zugegeben fegte es rücksichtslos über seine hilflosen Opfer hinweg.
    In ihren Worten ebenso wie in ihren Taten hatte Miss Florence Nightingale sie diese Lektion gelehrt. »Sie sind einfach nicht sie selbst«, sagte sie dann und sah über jede mögliche Verfehlung hinweg.
    »Sieh nur! Sieh, Ellie!«, schrie Moira. »Sie holt auf! Sie holt auf!«
    Eleanor schaute auf die Rennbahn, und ja, sie sah, wie sich etwas Scharlachrotes wie eine kleine Flamme langsam, aber sicher seinen Weg in den vorderen Teil des Feldes bahnte. Nur noch zwei andere Pferde, ein schwarzes und ein weißes, lagen vor ihr. Selbst Sinclair schien die unerwartete Wendung des Geschehens zu begeistern.
    »Gute Vorstellung!«, rief er.

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