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Eisiges Feuer (German Edition)

Eisiges Feuer (German Edition)

Titel: Eisiges Feuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Gernt
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von Lichterfels. Absichtlich vermied er es, Elyne anzusehen, bemerkte nur flüchtig, wie vorteilhaft die Braun- und Grüntöne ihres Kleides zu ihrem brünetten Haar passten. Gemeinsam sollten sie beide mit ihren Farben die Vereinigung von Himmel und Erde widerspiegeln, so wie der Himmelsvater sich einst mit der Erdmutter vermählte und ihre gemeinsame Kraft Leben spendete. Der Geist der beiden Schöpfer beseelte jede Kreatur. Die Erdgöttin gebar beständig neues Leben, außer in der Nacht der Wintersonnenwende, in der sie sich von Neuem mit dem Himmelsgott vermählte. Jedes Lebewesen, das in dieser Nacht zur Welt kam, galt als seelenlos und vom Schattenfresser, dem Verderber der Schöpfung, besessen. Es wurde umgehend getötet, auch Menschenkinder – meistens übergab man sie den Priestern für diese Opferung. Deren Aufgabe bestand ansonsten hauptsächlich in der Heilung, denn niemand wusste so viel über die wundersamen Kräfte von Pflanzen, Bäumen und Mineralien; sie begleiteten die Sterbenden, segneten Neugeborene und den Bund der Liebenden, trösteten Verzweifelte, berieten Bauern, welche Feldfrüchte diese anpflanzen sollten und bewahrten jegliches Wissen, das sie als überlieferungswürdig erachteten.
    Nicht einmal der König hat so viel Macht über das Volk, dachte Lys zerstreut. Niemand kann Onur wirklich beherrschen, wenn er nicht die Priesterschaft auf seiner Seite hat.
    Maruv hatte im Laufe seiner Herrschaft die Rechte der Priester eingeschränkt, und genau darin sah Lys einen Fehler. Die Priester unterstützten den König nicht, es gab genug abergläubisches Volk, das darin die Ursache für Maruvs Kinderlosigkeit vermutete. Man muss sie nicht lieben, aber ohne die Priester wendet sich das Volk ab. Über diesen Gedanken erreichte er schließlich den Thron und fand sich den drei mächtigsten weltlichen Herrschern von Onur gegenüber. Maruv, Erebos und Fürst Archym von Lichterfels sahen sich seltsam ähnlich. Alle drei waren stattliche, breitschultrige Krieger, in Würde ergraut. Die drei starrten Lys nun an, der sie zwar an Größe leicht übertraf, aber wesentlich leichter gebaut war. Bescheiden senkte er den Blick, verneigte sich tief vor Maruv, kniete dann vor seinem künftigen Schwiegervater nieder.
    „Nehmt mich an als Euren Sohn, damit ich Euch die Tochter nicht entreiße, sondern zwei Familien gemeinsam erstarken und wachsen können“, bat er. Archym legte die Hand auf Lys’ Schulter, sprach einige zeremonielle Worte. Dann winkte er, und Fürstin Mirea führte ihre Tochter nach vorne. Lys wusste, dies war der alles entscheidende Moment. Wenn jetzt der geringste Zweifel daran aufkam, dass zwischen ihm und Elyne tiefe Liebe herrschte, würde es zu einem Aufstand aller Fürsten kommen, die sich von Corlin wie Lichterfels bedroht fühlten.
    Absichtlich stellte er sich so, dass er Elynes Gesicht vor den Augen aller Zuschauer verbarg, als er mit zitternden Händen ihren Schleier anhob. Sollte Hass oder Verachtung darin zu lesen sein, oder vielleicht sogar Angst, wäre alles vorbei. Doch seine Sorge war unnötig, die junge Frau hielt den Blick zu Boden gesenkt und verriet nicht, was sie fühlte. Gewiss hatte man sie nicht weniger mit Verhaltensregeln gequält als ihn. Im gesamten Saal war es so still, man hätte einen Geist atmen hören können.
    „So sehen wir uns also wieder“, flüsterte Lys, laut genug, dass seine Worte weiter getragen werden konnten. Behutsam legte er die Hand an ihre Wange, streichelte sie sanft und beugte sich nah zu ihr herab, wisperte etwas in ihr Ohr, diesmal so leise, dass nicht einmal Fürstin Mirea es hören konnte. Elyne nickte, senkte dabei den Kopf noch ein wenig tiefer. Der Laut, den sie vernehmen ließ, hätte genauso gut Lachen wie unterdrücktes Schluchzen sein können.
    Lys holte die Kette hervor, die sich noch immer in seinem Besitz befand, küsste mit geschlossenen Augen den Anhänger und legte sie um Elynes schlanken Hals. Dann zog er Elyne in eine heftige Umarmung, barg ihr Gesicht an seiner Schulter. Sie klammerte sich an ihn, ließ sich festhalten. „Es ist vorbei, das Warten ist vorbei“, flüsterte er, diesmal wieder laut genug. Die ersten Damen in der Menge begannen zu schluchzen, gerührt von diesem Anblick inniger Zweisamkeit.
    „Das reicht, hoffe ich!“, hauchte Elyne ihm zu. Ihre Ablehnung war deutlich zu spüren – aber nur für ihn. Jeder andere hätte nichts als Vertrautheit und Zuneigung vermuten können, so nah, wie sie nun beieinander

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