Eisiges Feuer (German Edition)
Räuber unterschätzt. Hilf mir!“ Das Flehen in den weit aufgerissenen Augen, der überwältigende Schmerz, den Lys ausstrahlte, berührte Tomar tief. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass sein eigener Sohn genauso alt war wie sein Herr. Mit wackligen Knien erhob er sich und holte das Wasser und die Verbände. Almur war vor dem Zelt geblieben, er wagte es als einziger, den Kopf hereinzustrecken.
„Todesstrafe?“, fragte er ahnungsvoll.
„Nein. Bis jetzt gar keine Strafe. Bleib in der Nähe.“
Damit kehrte Tomar an Lys’ Seite zurück. „Herr, wenn Ihr erlaubt, rufe ich mir einen Helfer.“
„Nein!“ Lys packte ihn hart am Arm. „Nein. Es ist nicht gut, wenn sie mich so sehen, schwach, entehrt ... Nur du, Tomar, bitte, nur du.“
Die vertrauliche Anrede, das Betteln des jungen Fürsten erschreckte ihn ebenso wie die ganze furchtbare Situation; also schob er entschlossen alle Gedanken beiseite, half seinem Herrn aus den blutgetränkten Kleidungsstücken und begann, ihn zu waschen. Dabei stellte er sich vor, es wäre sein Sohn, der zerschlagen vor ihm lag und fand es so deutlich leichter, alles Notwendige zu tun.
„Was ist nur geschehen?“, fragte er, als er die tiefen Schnittwunden reinigte, um den Verletzten von den Schmerzen abzulenken.
„Der Anführer der Bande griff mich an“, flüsterte Lys. „Er presste heraus, wo der Gefangene war, verhöhnte und schlug mich. Kirian. Vergiss diesen Namen nie wieder. Er ist kein normaler Mann. Die anderen müssen das auch erfahren. Kirian schaffte es, wie ein Schatten hier einzuschleichen. Ihr tragt keine Schuld. Er wäre gekommen, selbst wenn ihr alle Wache gestanden hättet.“
Atemlos lauschte Tomar den mühsam hervorgestoßenen Worten. Ja, so ergab es Sinn. Kein einfacher Räuber hätte in das Lager eindringen und all das hier unbemerkt anrichten können!
„Ich wusste, Kirian ist gefährlich, und habe ihn doch unterschätzt … ich wollte ihn mit dem Gefangenen nach Weidenburg locken, ihm dort eine Falle stellen. Nie hätte ich gedacht, er könnte mich schon auf dem Weg dorthin finden.“
Verwirrt hielt Tomar in der Bewegung inne. „Aber Herr, Ihr wolltet doch Rache an dem Gefangenen nehmen?“
Lys schnaufte nur verächtlich. „Jeder sollte das denken, vor allem Kirian. Sehe ich so gelangweilt aus, dass ich einen bereits zerbrochenen Mann zusammenflicke, nur um ihm dann noch mehr anzutun? Selbst wenn, er wäre doch nach wenigen Minuten geistig wie körperlich zerrüttet gewesen. Er sollte nur der Köder sein und dann erlöst werden. Ohne Folter, ohne Leid. Davon hatte er genug. Ich hätte es nicht gekonnt, selbst wenn es anders gewesen wäre.“
Erschüttert arbeitete Tomar weiter an den Verletzungen, hasste sich selbst für seine Ungeschick, das nur noch mehr Schmerz und Schaden verursachte. Tiefes Mitleid erfasste ihn für seinen jungen Herrn, der sich hinter der Maske eines grausam kalten Tyrannen verbergen musste, um gegen seine Feinde zu bestehen, obwohl sein wahres Wesen von Sanftmut geprägt schien. Er schämte sich, dass er selbst ihn so verkannt hatte.
„Er hat mich gefesselt“, wisperte Lys fast unhörbar. „Gefesselt, geknebelt und geschlagen, damit ich mich selbst verletze und er mir dabei zusehen konnte. Er hat es genossen … und dann wollte er mich erwürgen. Etwas muss ihn abgelenkt haben, dass er zu früh aufhörte … ich erwachte und schaffte es, mich selbst mit dem Dolch zu befreien.“
Tomar fluchte lästerlich und half seinem Herrn dann in frische Kleidung hinein.
„Herr, Ihr solltet mich trotzdem bestrafen. Es schadet Eurem Ansehen, wenn Ihr selbst die Schuld auf Euch nehmt“, sagte er widerstrebend.
„Ich kann nicht, Tomar. Ich kann nicht.“ Lys schüttelte müde den Kopf. „Du hast mein wahres Gesicht gesehen. Ich bin der Schwächling, für den alle mich immer gehalten haben. Ich kann keinen Mann in den Tod schicken oder auspeitschen lassen. Hundert Mal hätte ich Grund dafür gehabt auf der Reise, bei all dem Ungehorsam, den ihr euch geleistet habt. Ich konnte es nicht, habe immer nur mit Worten gespielt, um diese Schwäche zu verdecken.“ Er biss sich auf die Lippen, errötete voller Scham über dieses Geständnis, das er vermutlich nie hatte aussprechen wollen.
„Herr.“ Tomar rang um Fassung, suchte nach der richtigen Antwort. „Herr, Ihr seid alles, aber gewiss nicht schwach. Ihr habt uns mit Worten beherrscht, mit Blicken, mit Gesten. Ihr habt die Fürsten und das andere hohe Volk zusammengehalten,
Weitere Kostenlose Bücher