Eisiges Feuer (German Edition)
sah, wie Lys die zerschnittenen Reste der Fessel zusammensuchte, mit zittrigen Fingern nach seinem Dolch griff, und verstand.
„Du nutzt auch jede Gelegenheit für einen Teilsieg, nicht wahr?“, lachte er leise, und erntete ein mattes Grinsen. Als er gerade das Zelt verlassen wollte, hörte er Lys noch etwas murmeln.
„…be dich.“
Kirian verharrte, schluckte die Tränen herunter: „Ich liebe dich auch, Lys.“ Danach beeilte er sich, das Lager endlich zu verlassen.
Ja, ich liebe dich. Ich hätte dir vertrauen müssen! Dass du mich jetzt überhaupt noch … Ich sollte mich von dir fernhalten, für unser beider Wohl, aber die Götter wissen, das kann ich nicht. Ich kann es einfach nicht …
13.
Tomar durchlitt Todesängste. Sein entsetztes Geschrei, als er in der Morgendämmerung nach dem Gefangenen sehen wollte und nur ein leeres Zelt vorfand, hatte das gesamte Lager geweckt. Schnell entdeckte man Spuren von mindestens zwei Männern, die längere Zeit hinter dem Zelt am Boden gekauert hatten. Betroffen standen alle Soldaten nur da, sie wussten, ihr Versagen würde schlimme Folgen haben. Die vier Männer, die in dieser Nacht Wache gestanden hatten, sahen aus, als würden sie am liebsten weglaufen, nur Tomars energische Befehle hatten sie bislang daran gehindert. Ihn selbst, da machte er sich keinerlei Illusionen, würde der Zorn des jungen Fürsten am Schwersten treffen. Er war der Hauptmann, verantwortlich für alles hier im Lager. Er war beauftragt worden, den Gefangenen wie einen Schatz zu hüten, und hatte ihn verloren.
Schlimmer aber als diese Ängste war das steigende Unbehagen darüber, dass sein Herr noch nicht erwacht war. Für gewöhnlich stand der junge Corlin schon bei Anbruch der Dämmerung auf den Beinen, warum nicht auch heute, zumal bei dem Aufruhr im Lager?
Zögernd näherte er sich dem Zelt. Sein Herr hasste es, gestört zu werden, aber diese Angelegenheit war wichtig. Wichtiger als Schlaf.
„Du kannst da nicht rein!“, zischte Almur, versuchte ihn aufzuhalten.
„Ich muss! Wir müssen die Räuber verfolgen, und es ist nicht richtig, dass der Herr noch schläft. Nicht um diese Zeit. Wenn etwas geschehen ist …“
„Es war schon Wahnsinn, den Gefangenen zu befreien, wer sollte da noch riskieren, den Corlin anzugreifen? Also, nur ihn und nicht uns alle?“
„Almur, ich weiß es nicht. Aber durch das Wappenschild da ist es leicht das Zelt des Fürsten zu erkennen, und es liegt ein wenig abseits von unseren. Wenn die Räuber wirklich irrsinnig genug waren …“ Tomar schluckte und kniete am Zelteingang nieder.
„Edler Herr?“, krächzte er nervös. „Euer Edelgeboren, ich muss jetzt hereinkommen. Es ist etwas geschehen.“ Das Schweigen, das ihm antwortete, festigte seinen Entschluss. Noch einmal schluckte er heftig, dann schlug er die Zeltplane zur Seite und trat ein.
Es dauerte einen Moment, bis seine Augen sich an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, doch er wusste sofort, dass ihn ein schlimmer Anblick erwarten würde – der süßlich-metallische Geruch, der in seine Nase stach, war nicht zu verkennen. Sein Blick irrte über die Ausrüstung seines Herrn, hin zum Schlaflager. Überall war Blut. Tomars Beine gaben nach, als er zu Lys hinwankte. Blut klebte auf den Decken, der zerrissenen Kleidung, in den Haaren, auf dem stillen, wachsbleichen Gesicht, das unnatürlich angeschwollen war. Der Hals zeigte schwarze Würgemale. Er wimmerte, ohne es zu bemerken, innerlich wie erstarrt über die Gewissheit, vor der Leiche seines Herrn zu stehen und die Schuld daran zu tragen. Ein zerschnittenes Seil lag am Boden, verwirrt hob er es auf. Dann bemerkte er den Dolch neben Lys’ Hand, hörte die schweren Atemzüge, sah, wie sich seine Brust hob und senkte.
Er lebt! Den Göttern sei dank, er lebt!
Endlich fand Tomar seine Stimme wieder, er brüllte laut: „HILFE! HELFT MIR!“ Dann kniete er neben seinem Herrn nieder und rüttelte ihn durch, damit der endlich erwachte und ihm sagen konnte, was er jetzt zu tun hatte.
Ein nicht enden wollender Hustenanfall schüttelte den schlanken Körper wie eine eiserne Faust. Tomar hatte nie bemerkt, wie jung sein Herr wirklich noch war. Hilflos hielt er den Fürst an den Schultern, wagte kaum, ihn zu berühren. Einen solch erhabenen, stets so beherrschten Mann anzufassen, dass stand ihm nicht zu, nicht ihm, Tomar dem Säufer! Es erschütterte ihn bis ins Mark, seinen Herrn so zu sehen, so schwach, in seinem eigenen Blut
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