Eisiges Feuer (German Edition)
„Sie lag davor, irgendwie muss sie es geschafft haben, den Riegel zu öffnen.“
„Aber Herr, dadurch brennt doch nicht alles ab! Oder hattest du hoch angefeuert, bevor du gegangen bist, Anniz?“, fragte Willar, der Bauer, bei dem sie untergekommen war. Sie schüttelte nur den Kopf, innerlich zu leer, zu betäubt, um weinen zu können.
„Vielleicht hat sie etwas hineingeworfen und es gab eine Stichflamme? Es muss sehr schnell gegangen sein. Ich habe kurz in die beiden anderen Räume gesehen, alle anderen sind wohl in ihren Betten gestorben, ohne zu erwachen.“ Mitleid und tiefe Traurigkeit zeichnete das schöne Gesicht, und jeder Frosthauch war verschwunden. Es war leichter für Anniz, über solche Dinge nachzudenken, als über ihre verlorene Familie.
„Was geschieht denn nun?“, fragte Willar sachlich.
„Lass mich mit Anniz allein sprechen, dann entscheide ich“, erwiderte der junge Fürst.
„Ich weiß, du möchtest im Moment nicht an die Zukunft denken, während du noch deine Vergangenheit im Arm hältst“, sagte er behutsam, sobald sie allein waren.
„Ich werde kein neues Haus bauen, Herr“, stieß Anniz hervor. „Gebt das Land, an wen Ihr wollt. Vielleicht kann ich bei Willar bleiben, als Magd. Ich werde meine Familie begraben und dann sehen, wo ich arbeiten kann.“
Er musterte sie intensiv. Nicht abschätzig, als würde er den Wert einer Ware abwägen, sondern mehr, als suche er nach Worten, um eine schwierige Frage zu stellen. Er errötete sogar, was ihm etwas Jungenhaftes, Anrührendes verlieh und murmelte schließlich:
„Anniz, ich sehe, dass du noch gestillt hast.“ Sie blickte kurz auf ihr schmutziges Kleid, das Flecken von austretender Muttermilch aufwies.
„Du scheinst kein wirkliches Ziel zu haben. Könntest du dir vorstellen, nach Weidenburg zu kommen? Ich habe noch keine Amme für meine Frau gefunden, die schon bald niederkommen wird.“
Sie zögerte kurz, und er fuhr hastig fort: „Natürlich, wenn der Gedanke, ein fremdes Kind zu nähren, zu schmerzlich ist … du könntest es dir in Ruhe überlegen. Ich brauche auch noch helfende Hände in der Küche und im Stall, und du wärst weit fort von den Erinnerungen hier.“
„Herr, ich danke Euch. Es wäre mir eine Ehre, Eurer Frau als Amme zu dienen, ich war nur in Sorge, ob ich die Milch so lange erhalten kann.“
Damit war es entschieden gewesen. Der junge Herr verteilte das nun freie Land an ihre ehemaligen Nachbarn, ließ alle Dokumente aufsetzen und unterzeichnen und hatte sogar an der Totensegnung teilgenommen, wieder in eisiger Beherrschtheit. Danach ritt er zur Weidenburg, während Anniz von Willar gefahren wurde, mit seinem Ochsengespann. Man war stolz auf sie, dass sie nun bei den hohen Herrschaften arbeiten durfte. Anniz kümmerte das Gerede nicht. Sie wollte nur so rasch wie möglich fort von hier, egal wohin.
Es war erst so wenige Tage her, doch es schien so fern zu sein, als wäre es in einem anderen Leben geschehen. Anniz schreckte aus ihren Gedanken hoch, als das Kind aufwachte. Sie wischte sich rasch die Tränen ab, schob das hungrig suchende Kind mit einer Hand an die Brust, trieb dann den Weißen, der die Gelegenheit zum Grasen genutzt hatte, mit schmerzenden Beinen weiter. Ihr Herr schlief noch immer, seine Arme ruhten auf ihren Schenkeln. Fürsorglich vergewisserte sie sich, dass er nicht vom Pferd fallen konnte.
Seltsam. Ob ich so in Trauer erstarrt bin?, dachte sie, als ihr aufging, dass sie nichts als Fürsorge empfand. Es ist mehr, als hätte ich da noch ein Kind, das mir auf dem Rücken hängt und eben etwas lang geraten ist, als einen stattlichen jungen Mann …
20.
Nach über einer Woche ununterbrochener Reise lenkte Lys den Weißen zu der Wasserstelle, an der Roban und er im vergangenen Herbst überfallen worden waren.
„Von hier aus musst du mit verbundenen Augen weiter“, sagte er zu Anniz. Sie hatte ihn kein einziges Mal gefragt, wohin sie gingen, aber nun starrte sie ihn vorwurfsvoll an.
„Herr, Ihr könnt mir vertrauen“, protestierte sie.
„Ich weiß, Anniz. Aber man tötet dich vielleicht, wenn du mit offenen Augen reitest und den Weg verraten könntest, denn diejenigen, zu denen wir unterwegs sind, wissen das eben nicht.“
Widerstandslos ließ sie sich ein Tuch umlegen, ohne weitere Fragen zu stellen, wofür Lys dankbar war. Der schwierigste Teil der Reise lag nun vor ihm: Er musste sich an einen Weg erinnern, den er vor fast einem Jahr mit ebenso
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