Eisiges Feuer (German Edition)
er das Pferd an, bis es in einen langsamen Zockelschritt fiel. Man brauchte viel Kraft, um dieses Tier zu reiten, und stets beide Hände an den Zügeln.
Zehn Soldaten waren schon vor einer Stunde ausgeritten, um der inzwischen kalten Fährte der Angreifer zu folgen. Tomar und seine Männer sollten in der Burg die Stellung halten, den Verwalter beaufsichtigen, dass der die Reparaturarbeiten weiterführte und gleichzeitig versuchen, den Verräter in ihren eigenen Reihen zu finden.
Anniz bemühte sich, ein wenig Abstand von dem Körper hinter ihr zu halten, doch das war schlicht unmöglich. Es beschämte sie, so dicht an einem solch hohen Herrn zu sitzen, dass sie seinen Herzschlag im Rücken spüren konnte – so etwas gehörte sich einfach nicht! Es war ja schon unanständig genug, dass ihr Kleid in dieser Haltung über die Knie rutschte.
„Entspann dich, Anniz, sonst wird das Pferd nervös. Es wird eine weite Reise“, flüsterte er ihr zu, als sie die Burg verlassen hatten. Sie spürte, wie seine Arme an ihrer Seite zitterten.
„Herr?“
„Du wirst jetzt sehr schnell reiten lernen müssen, Anniz. Es gibt nicht allzu viel zu beachten bei einem solch gemütlichen Exemplar und einem geraden Weg voran, aber es kostet Kraft. Morgen früh darfst du mich verfluchen.“
Lys erklärte ihr geduldig, wie sie den Weißen mit den Schenkeln antreiben musste, wie sie das Tier dazu bringen konnte, anzuhalten – am schnellsten dadurch, dass sie es nicht mehr beständig antrieb – oder zur Seite zu gehen. Dabei wurde seine Stimme stetig leiser, die Aussprache verwaschen und gedehnt; immer häufiger stockte er, sackte in sich zusammen, um mit einem Ruck hochzufahren und den Satz hastig zu beenden.
„Jetzt du“, nuschelte er irgendwann und überließ ihr die Zügel. Anniz spürte schnell, was ihr Herr gemeint hatte, als er von Kraft sprach: Sie musste Muskeln anspannen, die niemals zuvor so viel gearbeitet hatten, um dieses riesige Tier in Bewegung zu halten.
„Es tut mir leid, Anniz, ich … verlange … zu viel.“
Er sank gegen ihren Rücken, legte den Kopf auf ihre Schultern. „Entschul… Wenn ich … zu schwer … dann … weck …“
„Schon gut, Herr. Ruht Euch aus.“ Anniz rückte sich im Sattel zurecht, bis sie bequem sitzen und gleichzeitig das Gewicht des erschöpften Mannes und des Kindes ertragen konnte. Zum Glück war sie eine starkknochige Frau, kein zartes Wesen, während ihr Herr zwar groß, aber nicht schwer war.
Anniz dachte kurz an den Morgen, der ihr gesamtes Leben verändert hatte. Sie war noch vor Sonnenaufgang aufgestanden, um den Marsch von fünf Meilen bis zum nächsten Städtchen zu bewältigen, dort einen Tagelöhner anzuwerben und dann rasch zum Hof zurückzukehren. Gemeinsam mit ihrem Mann, ihren Kindern, den Schwiegereltern und einem Knecht bewirtschaftete sie ein kleines Stück Land. Es reichte zum Leben, was sie der Erde abrangen, und es war kein schlechtes Leben, erfüllt von Arbeit und nicht allzu vielen Sorgen. Als sie mit dem Tagelöhner, der bei der Ernte helfen sollte, zum Stadttor kam, sahen sie bereits die riesige Rauchsäule. Anniz wusste sofort, es war ihr Zuhause, das dort in Flammen stand. Sie rannte die gesamte Strecke wie vom Dreigehörnten getrieben, kämpfte anschließend stundenlang gemeinsam mit dem Arbeiter und einigen Nachbarn darum, irgendetwas zu retten, doch alles verbrannte: das Haus, der kleine Stall mit Ziegen und Hühnern, ihre gesamte Familie, einschließlich ihrer kleinen Tochter, noch keine eineinhalb Jahre alt, die sie noch gestillt hatte. Nichts blieb zurück. In der Nacht durfte sie bei Nachbarn bleiben, dann erschien der junge Corlin, dem das Land gehörte. Anniz hatte finstere Geschichten über diesen Mann gehört – dass er mit den Schattenfressern paktiere; dass er ein Wechselbalg sei, der Sohn einer grässlichen Hexe; dass er sein Herz einem der Drachen gegeben hatte, die angeblich in den Eisenbergen hausten, und dafür nun einen magischen Eiskristall in der Brust trug, der ihm Schönheit, Macht und ewige Jugend schenkte. Er schien tatsächlich von einem Frosthauch umgeben, als er nach dem Geschehen fragte, sich die verkohlten Überreste des Hofes ansah und sogar hineinging. Anniz erinnerte sich an jeden Moment, an jedes einzelne Wort …
„Die Tür des Küchenofens steht offen“, sagte er, als er rußverschmiert und hustend zurück ins Freie kam. Im Arm trug er den verbrannten Körper ihres kleinen Mädchens, den er ihr übergab.
Weitere Kostenlose Bücher