Eisiges Herz
durchzuführen.«
»Ich hätte es kommen sehen«, sagte Cardinal noch einmal, wohl wissend, wie lahm seine Worte klangen.
Catherine, was hast du getan? Was hast du mir angetan?
»In Ihrem Beruf haben Sie doch sicherlich häufiger mit Menschen zu tun, die aus allen Wolken fallen, wenn sie bestimmte Dinge erfahren über Menschen, mit denen sie zusammenleben?«
Cardinal musste an den Bürgermeister denken, dessen Frau in Motelbetten herumvögelte. Bin ich so blind? Bin ich der Einzige, der die Wahrheit nicht erkennt?
»Ist es nicht möglich, Detective, dass Sie, blind vor Trauer, nicht sehen, was für jeden anderen offensichtlich ist? Vielleicht sollten Sie sich zugestehen, dass auch Sie sich irren können. Sie haben Ihre Frau verloren, da ist es naheliegend, dass Ihre Wahrnehmung getrübt ist. Und wer würde in Ihrer Situation nicht die lindernde Wirkung der Verdrängung suchen? Die gehässigen Beileidskarten wurden Ihnen von einem rachsüchtigen ehemaligen Kriminellen geschickt. Es besteht kein Grund zu der Annahme, dass Ihre Frau ermordet wurde. Ich habe Catherine fast zwei Jahre gekannt, und ich kann mir nicht vorstellen, dass sie Feinde hatte. Sie haben Jahrzehnte mit ihr zusammengelebt – kennen Sie irgendjemanden, der ein Motiv gehabt haben könnte, sie zu töten?«
»Nein«, sagte Cardinal. »Aber Motive müssen nicht immer persönlicher Art sein.«
»Sie meinen, es gibt auch Psychopathen. Aber nichts deutet darauf hin, dass dies die Tat eines Serienmörders war. Erst recht nicht von einem, der die Möglichkeit hatte, sich in den Besitz von Catherines Abschiedsbrief zu bringen, um ihn am Tatort zu hinterlassen. Wenn Sie glauben, dass Ihre Frau ermordetwurde, dann hätten Sie es nicht verhindern können, wenn Sie gewusst hätten, dass sie vor drei Monaten einen Abschiedsbrief geschrieben hat. Wenn Sie glauben, dass sie sich selbst das Leben genommen hat, dann gibt es für Sie nichts zu ermitteln, es sei denn, Sie wollen mich wegen eines Behandlungsfehlers verklagen. Wie gesagt, und wie Sie selbst sagen, gab es keinerlei Anzeichen dafür, dass Ihre Frau vorhatte, sich umzubringen. Nicht das geringste. Deswegen habe ich dem Brief keine weitere Bedeutung beigemessen. Er war nichts weiter als die Antwort auf eine Frage, die ich ihr gestellt hatte.«
»Und wie lautete die Frage?«
»Wir haben darüber gesprochen, warum sie sich
nicht
das Leben genommen hatte, trotz ihres jahrelangen Leidens. Der wichtigste Grund, der sie davon abgehalten hat, war die Sorge, was Sie Ihnen damit antun würde – Ihnen und Ihrer Tochter. Meine Frage lautete: Was würden Sie Ihrem Mann sagen, wenn Sie sich tatsächlich das Leben nähmen? Was würden Sie in einem Abschiedsbrief schreiben? Ich wollte, dass sie ihre Gefühle spontan äußerte, aber Catherine hat meine Frage nicht beantwortet. Sie meinte, sie müsse erst darüber nachdenken. Und dann brachte sie zu meiner Überraschung zur nächsten Sitzung diesen Brief mit. Und wie Sie sehen, bringt sie darin eindeutig ihre Liebe zu Ihnen zum Ausdruck.«
Cardinals Hals war wie zugeschnürt. Und dann bemerkte er zu seinem Entsetzen, dass er weinte.
»Vielleicht sollten Sie sich noch ein paar Wochen Urlaub nehmen«, sagte Dr. Bell sanft. »Offenbar haben Sie noch nicht genug Zeit gehabt, um zu trauern. Vielleicht sollten Sie sich wirklich noch eine Weile Ruhe gönnen.«
37
N ormalerweise genoss Delorme die Frühbesprechung. Alle sechs Detectives der CID -Abteilung versammelten sich um den großen Tisch im Sitzungszimmer und diskutierten bei Kaffee, Donuts und Muffins über den jeweiligen Stand ihrer Ermittlungen. Wenn noch die Kollegen von der Spurensicherung, von der Abteilung Straßenkriminalität, der Mann vom Nachrichtendienst und der Koordinator für Verbrechensprävention dazukamen, konnten an manchen Tagen bis zu sechzehn Personen am Tisch sitzen. Heute allerdings würden sie nur zu siebt sein.
Diese Besprechungen dienten dazu, die Taktik für den Tag festzulegen und jedem bestimmte Aufgaben zuzuteilen. Es war immer interessant, manchmal auch haarsträubend, zu hören, wie andere Detectives bei ihren Ermittlungen vorgingen, und es wurde meistens viel gelacht. Häufig war die Frühbesprechung die einzige Gelegenheit im Laufe des Tages, wo viel gelacht wurde. Mal ließ McLeod eine seiner berühmten Schimpfkanonaden los, oder Szelagy machte irgendeine todernste Bemerkung, über die sich alle köstlich amüsierten. Sogar Cardinal konnte sehr lustig sein, auch wenn sein
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