Eisiges Herz
Kontakt dazu beitragen, dass die Arbeit an einemFall schneller vorankam, und eine Freundschaft konnte wahre Wunder bewirken.
Tommy Hunn war nie ein Freund gewesen. Tommy Hunn war während der ersten Jahre in Toronto ein Kollege von Cardinal gewesen, damals, als er noch bei der Sitte gearbeitet hatte.
In vielerlei Hinsicht hatte sich Hunn als Alptraum von einem Polizisten gezeigt: muskelbepackt, zu Gewalttätigkeit neigend, offen rassistisch. Er war außerdem ein guter Detective gewesen, bis er von seinen eigenen Leuten in einem Bordell erwischt worden war. Anstatt einer Abmahnung wegen ungebührlichen Verhaltens hätte er mit einer Disziplinarstrafe rechnen müssen, wenn Cardinal sich bei der Anhörung nicht für ihn eingesetzt hätte. Er hatte Hunn in einem Gutachten positiv beurteilt und ihm später, als dieser sich entschlossen hatte umzusatteln, eine Empfehlung geschrieben. Hunn hatte noch einmal studiert, sich schließlich bis in die Abteilung für Beweismittelsichtung im Ontario Centre of Forensic Sciences hochgearbeitet und führte anscheinend seitdem ein rechtschaffenes Leben.
»Huhuu, Cardinal, das freundliche Gespenst«, sagte Hunn, als er ans Telefon ging. »Der muss ja ein ganz besonderes Anliegen haben, sage ich mir, denn sonst würde er bestimmt einfach die Zentrale anrufen.«
»Ich hab ein paar Dokumente für dich, Tommy – vielleicht drei. Ich hoffe, dass du mir helfen kannst.«
»Aha, du möchtest, dass ich was vorziehe, richtig? Ich sage dir, John, wir sind höllisch im Stress hier. Im Prinzip darf ich mir nur noch Dinge vornehmen, die fünf Minuten später vor Gericht gebraucht werden.«
»Ja, ich weiß.«
Jeder Polizist, der einem Kollegen etwas schuldig war, wusste, dass irgendwann, manchmal Jahrzehnte später, derZahltag kommen würde, und Cardinal brauchte Hunns Gedächtnis nicht auf die Sprünge zu helfen.
»Am besten, du sagst mir einfach, wo es dir auf den Nägeln brennt«, schlug Hunn vor, »und dann sage ich dir, was ich für dich tun kann.«
»Ich habe eine Grußkarte mit einem eingeklebten Zettel. Auf diesem Zettel steht eine Nachricht, die aussieht, als wäre sie auf einem Computer ausgedruckt. Es sind nur zwei Sätze, aber ich hoffe, du kannst mir irgendeinen Tipp geben, woher sie stammen könnten. Ich selbst könnte nicht mal sagen, ob sie auf einem Tintenstrahl- oder einem Laserdrucker gedruckt wurden.«
»So oder so werden wir nicht weit kommen, solange wir keinen anderen Ausdruck zum Vergleich haben. Das ist heutzutage nicht mehr so wie früher bei den guten alten Schreibmaschinen. Was hast du sonst noch?«
»Einen Abschiedsbrief.«
»Selbstmord. So ein Aufwand bloß für einen Fall von Selbstmord? Diese verdammten Selbstmörder bringen mich noch mal um den Verstand. Selbstmörder sind Hosenscheißer, wenn du mich fragst.«
»Ja, ja«, sagte Cardinal, »komplette Feiglinge. Keine Frage.«
»Und Egoisten«, fuhr Hunn fort. »Es gibt weiß Gott nichts Egoistischeres, als sich selbst umzubringen. Wenn man sich mal überlegt, wie viel Energie da vergeudet wird: deine Zeit, meine Zeit, Ärzte, Schwestern, Sanitäter, Psychologen, weiß der Teufel wer muss sich kümmern. Und das Ganze bloß für irgendeinen lebensmüden Idioten. Das ist doch egoistisch bis dorthinaus.«
»Gedankenlos«, sagte Cardinal. »Einfach gedankenlos.«
»Das gilt für die, die es nicht schaffen. Und wenn sie es schaffen, verursachen sie nur Leid. Ich hatte mal einen Freund– er war sogar mein bester Freund –, der sich vor ein paar Jahren mit seiner Dienstwaffe eine Kugel in den Kopf gejagt hat. Ich sage dir, ich hab mich monatelang beschissen gefühlt. Warum hab ich’s nicht kommen sehen? Warum war ich ihm kein besserer Freund? Aber soll ich dir mal was sagen? Er war der schlechte Freund, nicht ich.«
»Du sagst es, Tommy.«
»Selbstmörder, ich sage dir …«
»In diesem Fall war es möglicherweise gar kein Selbstmord.«
»Aha! Das ist natürlich was ganz anderes. Also gut, ich bin ganz Ohr.« Hunn schlug einen Tonfall an wie ein Mafioso: »Ich werde all meinen Einfluss geltend machen …«
»Ich brauche die Ergebnisse schnell, Tommy. Sozusagen gestern.«
»Kein Problem. Sobald ich die Dokumente habe. Aber falls du vorhast, dieses Material oder irgendeine Analyse, die du von mir bekommst, vor Gericht zu verwenden, musst du das über die Zentrale regeln, und die machen für niemanden eine Ausnahme. Selbst wenn der Herrgott persönlich käme und ihnen einen handschriftlichen Schrieb mit
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