Eisiges Herz
McGill University hat ihm ein Stipendium angeboten, und er hatte allen Grund, leben zu wollen. Er hätte nicht sterben müssen.«
»Lise, das ist meine Mutter, Beverly Dorn.«
»Mrs. Dorn, mein tiefes Beileid.«
»Werden Sie uns helfen? Das möchte ich nämlich wissen. Was werden Sie tun, um uns zu helfen, dieses Unrecht zu sühnen? Perry war ein intelligenter, sensibler junger Mann, und jetzt ist er tot, und das hätte nicht passieren müssen. Es müssen Ermittlungen durchgeführt werden. Wir haben es verdient, Antworten auf unsere Fragen zu bekommen.«
»Mom, Lise wird tun, was sie kann. So beruhige dich doch.«
»Kommen Sie mit«, sagte Delorme. Sie führte die beiden in einen Raum, der oft für Gespräche mit Angehörigen benutzt wurde, die Schlimmes erlebt hatten und betreut werden mussten. Im Gegensatz zu den anderen Vernehmungszimmern gab es dort Teppichboden und ein beinahe gemütliches Sofa. An einer Wand hing ein modernes Kunstwerk, das eine Mutter mit Kind darstellte, an einer anderen eine Tafel ohne Kreide. Delorme schloss die Tür.
»Nehmen Sie doch Platz«, sagte sie.
»Ich kann nicht sitzen«, erwiderte Mrs. Dorn. »Ich bin viel zu wütend.«
»Mom, du hast keinen Grund, auf Lise wütend zu sein.«
»Es war ein Polizist bei Perry in dem Waschsalon. Was ist mit ihm? Er war dabei, als es passiert ist. Er war da,
bevor
es passiert ist. Warum hat er dem Jungen nicht die Waffe abgenommen,können Sie mir das mal erzählen? Warum hat er nichts
getan?
«
Delorme zeigte noch einmal auf das Sofa und wartete, bis Mrs. Dorn sich neben ihre Tochter setzte. Die Augen der Frau waren wund und gerötet von der Art Weinen, das keine Erleichterung bringt, und sie war so überdreht wie jemand, der keinen Schlaf mehr findet.
Delorme setzte sich den beiden gegenüber und sagte ruhig: »Ja, es war ein Polizist in dem Waschsalon. Er hatte seinen freien Tag und saß in dem Café nebenan, als ein Mann am Nebentisch sah, wie Ihr Sohn den Waschsalon mit einer Schrotflinte betrat. Nachdem er Verstärkung angefordert hatte, ist der Polizist Ihrem Sohn in den Waschsalon gefolgt.«
»Warum hat er ihm die Waffe nicht abgenommen? Das möchte ich wirklich wissen. Warum hat er ihm die Waffe nicht einfach aus der Hand gerissen? Er hat tatenlos danebengestanden und es geschehen lassen!«
»Der Kollege musste sich zuallererst um die Sicherheit der anderen Kunden im Waschsalon kümmern. Es waren Leute dort. Er hat dafür gesorgt, dass sie so schnell wie möglich nach draußen gingen.«
»Perry ist noch nie eine Gefahr für andere gewesen, nur für sich selbst. Das merkt man doch gleich, wenn man ihn sieht. Er könnte keiner Fliege etwas zuleide tun. Das stimmt übrigens buchstäblich. Selbst Spinnen trägt er vorsichtig aus dem Haus und passt auf, dass er ihnen nur ja kein Haar krümmt.«
»Der Kollege kannte Ihren Sohn nicht. Was er gesehen hat, war ein verzweifelter Mann mit einer Schusswaffe in einem Raum, in dem sich viele Menschen befanden. Er hat das Richtige getan und zuerst die anderen nach draußen geschafft.«
»Und dann hat er zugelassen, dass mein offensichtlich verzweifelterSohn sich umbringt. Bravo. Der Mann hat einen Orden verdient.«
»Mom. Hör ihr zu.« Shelly legte eine Hand auf Mrs. Dorns Arm, den diese wegriss.
»Hör auf, mich zu bevormunden.«
»Niemand bevormundet dich, Mom. Du hast eine Frage gestellt, und Lise versucht, dir zu antworten. Lass sie ausreden.«
»Der Kollege hat versucht …«
»Der Kollege, der Kollege – hat der Mann keinen Namen? Keine Dienstnummer?«
»Selbstverständlich. Wir werden Ihnen diese Informationen keinesfalls vorenthalten, aber sie ändern dennoch nichts an den Tatsachen. Mein Kollege hat versucht, Ihren Sohn zu beruhigen. Er hat mit ihm gesprochen und ihn mehrmals gebeten, die Waffe auf den Boden zu legen. Ihr Sohn hat sich geweigert.«
»Er war noch ein Junge! Da war ein ausgebildeter Polizist, und der schafft es nicht, einen Jungen davon abzuhalten, dass er sich umbringt? Wieso hat er ihm die Waffe nicht einfach aus der Hand gerissen?«
Delorme ließ die Frage – oder besser den Vorwurf – einen Moment lang in der Luft hängen.
»Ich glaube, Sie kennen die Antwort auf diese Frage, Mrs. Dorn.«
Mrs. Dorn schüttelte den Kopf.
»Der Kollege wollte Perry nicht noch mehr in Panik versetzen, als er es schon war. Außerdem wollte er selbst nicht erschossen werden. Ich wiederhole, er war unbewaffnet.«
»Ein Polizist ist es gewöhnt, Risiken einzugehen, das
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