Eisiges Herz
Ihnen, dass Soundso diesen Liegeplatz gepachtet hat. Und das Boot von Soundso ist gerade nicht da. Ein Dieb könnte daraus den Schluss ziehen, dass Soundso in Urlaub ist und irgendwo auf den Großen Seen rumschippert. Oder nach New York runtersegelt. Dann wird das Haus von Soundso ausgeraubt. Wie stehe ich dann da?«
»Dann wären Sie völlig unschuldig, Mr. Quigly. Ich bin keine Diebin, ich bin Polizistin, und ich untersuche ein Verbrechen.«
»Ja, hm, das ist auch so eine Sache. In was für einem Fall ermitteln Sie denn überhaupt? Sicher, die Leute trinken auf ihren Booten, sie kiffen, aber wieso sollten Sie ausgerechnet jetzt, wo die Saison vorbei ist, hinter so was her sein? Und wegen solchem Kleinkram würden Sie bestimmt nicht von mir verlangen, dass ich die Namen von meinen Kunden rausrücke.«
Delorme wollte ihm nicht sagen, um was es ging. Die Erwähnung von Kinderpornographie würde die Gerüchteküche zum Brodeln bringen. Und dieser Kinderschänder durfte nicht eher Wind davon bekommen, dass sie ihm auf die Schliche gekommen waren, bis sie ihm Handschellen anlegen konnte.
»Ich muss mich auf Ihre Diskretion verlassen können«, sagte sie. »Sie dürfen das niemandem gegenüber erwähnen.«
»Das ist doch selbstverständlich.«
»Es geht um Körperverletzung.«
»Wirklich?« Er schüttelte den Kopf. »Kann aber nichts allzuSchlimmes gewesen sein, sonst hätte ich garantiert davon gehört.«
»Im Moment kann ich Ihnen nicht mehr sagen. Werden Sie mir helfen? Ich könnte mir natürlich einen Durchsuchungsbefehl besorgen, aber das dauert mindestens einen Tag und würde bedeuten, dass ein Verbrecher noch länger frei herumläuft.«
Quigly führte sie in sein vollgestopftes Büro. An einer Wand hing eine Karte des Trout Lake, und an der anderen stand ein riesiges Modell der
Bluenose
. Überall waren Fotos von Angelszenen und vergrößerte Kopien von Cartoons mit Seglerwitzen angepinnt. Quigly kramte in einem Aktenschrank herum und zog schließlich einige Schnellhefter heraus.
»Die Pachtverträge der letzten zehn Jahre«, sagte er. »Aber die sind nicht nach irgendeinem Ordnungssystem abgelegt.«
17
N achdem Delorme die Namensliste nach Wohnorten sortiert hatte, stand Frank Rowley an oberster Stelle. Sie wusste nicht so recht, was sie von einem Mann erwartet hatte, der ein eigenes Flugzeug besaß – vielleicht ein herrschaftliches Backsteinhaus auf dem Beaufort Hill. Oder eine viktorianische Villa auf der Main West Street. Doch es stellte sich heraus, dass Frank Rowley in einem einfachen kleinen Haus in der Nähe der Umgehungsstraße wohnte. Delorme fuhr in die Einfahrt und parkte hinter einem braunen Ford Escort, einem bescheidenen, unprätentiösen Modell, das nicht zu ihrer Vorstellung von einem Mann mit Privatflugzeug passte.
Ein kleiner Ahornbaum hatte sein Laub auf dem Rasen abgeworfen, wo es einen farbenprächtigen Kreis bildete, aber die säuberlich beschnittenen Ilexsträucher direkt vor dem Haus waren leuchtend grün. Noch ehe sie aus ihrem Zivilfahrzeug ausstieg, hörte sie das Kreischen und Jaulen einer E-Gitarre. Es hörte sich an, als wäre ein geschundener Geist im Viertel entfesselt worden.
Die Gitarre kreischte, verstummte, legte wieder los. Diesmal erkannte Delorme eine Melodie aus einem Beatles-Song, dessen Titel sie jedoch nicht hätte nennen können.
Auf ihr Klopfen hin öffnete ein glatzköpfiger Mann von Anfang vierzig, die Gitarre immer noch umgehängt. Männer und ihre Spielzeuge, dachte Delorme.
»Mr. Rowley?«
»Ja, das bin ich. Kann ich was für Sie tun?«
Sie zeigte ihm ihren Ausweis. »Haben Sie ein paar Minuten Zeit für mich?«
Im Haus duftete es wie in einer Bäckerei, und Delormeentdeckte mit Wohlwollen feine Mehlspuren an Rowleys kahlem Kopf.
Sie folgte ihm ins Wohnzimmer, wo auf einem blau-schwarz gemusterten Teppich lauter Puppen und Stofftiere verstreut waren wie nach einer Kissenschlacht. An einer Wand stand ein Kinderroller, und auf Sofa und Sesseln lagen verschiedene Bilderbücher. Delorme stolperte über die Teppichkante.
»Tut mir leid«, sagte Rowley. »Zweite Wahl. Sonst hätte ich ihn mir nicht leisten können.«
»Sie haben Kinder, wie ich sehe«, bemerkte Delorme. »Wie alt sind sie?«
»Wir haben eine Tochter, Tara. Sie ist sieben. Sie kommt gleich aus der Schule. Bitte, nehmen Sie doch Platz.«
Delorme setzte sich auf einen niedrigen Sessel aus grob behauenem Holz. Das ganze Zimmer war mit gemütlichen, rustikalen Möbeln
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