Eisiges Herz
kamen nur sehr wenige als Kandidaten für einen Kartenschreiber, geschweige denn für einen Mörder in Frage.
Falls
sie ermordet worden war. Alle anderen gingen von Selbstmord aus, obwohl im Vorfeld nichts darauf hingedeutet hatte. Und auch wenn Catherine ihren Abschiedsbrief schon vor Monaten geschrieben hatte, würde es nicht ausreichen, das war Cardinal klar. Es würde nicht ausreichen, um Delorme ins Schwanken zu bringen, und erst recht nicht, um den Gerichtsmediziner, einen Richter oder Geschworene zu überzeugen. Und auch an ihm selbst nagten immer noch Zweifel.
Er schob seine Zweifel beiseite und nahm sich die Ablage vor, in der er das aufbewahrte, was er seinen »halben Kram« nannte, unerledigte Dinge, für die er nie die notwendige Zeit fand. Zwischen Mitteilungen über die Änderung von Verfahrensweisen, Ankündigungen von Konferenzen und Unterlagen für Gerichtsprozesse befanden sich Benachrichtigungen von Strafanstalten über kürzlich erfolgte Entlassungen. Diese Mitteilungen betrafen nicht nur Cardinals eigene Fälle, sondern sämtliche Fälle im Bezirk.
Neben sich hörte er Delorme leise telefonieren. »Larry, es war nicht Ihre Schuld. Sie sollten mit einem Therapeuten darüber reden. Es ist doch keine Schande, menschlich zu sein.«
Delormes Stimme schien ihn aus weiter Ferne zu erreichen, als befände er sich unter Wasser. Er fühlte sich wie ein Ertrinkender, dessen Lunge sich mit Trauer füllte. Diese entlassenen Schurken und Verbrecher waren die Planken, an die er sichklammerte, bis die Rettung kam. Aber worin würde die Rettung bestehen?
Catherine lebendig.
Unbeirrt machte er weiter, und als er fertig war, hatte er eine kurze Liste mit drei Kandidaten. Sie lebten alle in Algonquin Bay, waren alle innerhalb der vergangenen zwölf Monate entlassen worden und hatten alle mindestens fünf Jahre im Gefängnis verbracht, was sie John Cardinal zu verdanken hatten.
14
A lgonquin Bay hat viele Kirchen, und einige davon sind recht sehenswert, allerdings gehört die katholische Kirche St. Hilda nicht dazu. Auch durch das neue Blechdach mit dem wenig überzeugend an Grünspan erinnernden Anstrich hat das unansehnliche Backsteingebäude an der Sumner Street nichts gewonnen. Aber dank der ständig schrumpfenden Kirchengemeinden der Stadt bietet der große Parkplatz hinter der Kirche äußerst willkommene, kostenlose Parkmöglichkeiten.
Cardinal stellte seinen Wagen im Schatten von St. Hilda ab und ging die Frederick Street hinunter. In diesem sogenannten »gemischten« Viertel, in dem schäbige Bungalows und windschiefe Reihenhäuser das Bild prägten, wohnten Grundschullehrer, junge Polizisten und Typen wie Connor Plaskett.
Connor Plaskett hatte schon als Junge angefangen, Leim zu schnüffeln. Später hatte er eine Vorliebe für Marihuana und Alkohol in jeder Form entwickelt, vor allem billigen Fusel, wahrscheinlich wegen des hohen Zuckergehalts. Irgendwann, nachdem er ziemlich übel mit einem Bus zusammengestoßen war, hatte er eine Erleuchtung gehabt und sich den Anonymen Alkoholikern angeschlossen.
Nachdem er trocken war, hatte er sich als Web-Designer selbständig gemacht und geheiratet. Er war so erfolgreich gewesen, dass er seine Frau und sein Kind gut ernähren konnte. Dann ging das Internet-Geschäft den Bach hinunter, Plaskett war in kurzer Zeit pleite und suchte prompt wieder Zuflucht im Alkohol.
Nach einer zweiwöchigen Sauftour kam Plaskett auf dieglorreiche Idee, einen örtlichen Supermarkt auszurauben. Und zwar mit Unterstützung seiner Pistole. Geistesgegenwärtig hatte er die Videokassette aus der Überwachungskamera genommen, ohne zu bemerken, dass es sich um eine Attrappe handelte, die genau zu diesem Zweck dort angebracht war, nämlich damit ein potentieller Dieb nicht die entscheidende Kassette aus dem Gerät entwendete.
Und so war Connor Plaskett in den Sechs-Uhr-Nachrichten zu sehen gewesen, wie er die junge Kassiererin anwies, ihm die Tageseinnahmen auszuhändigen.
Es war einer der einfachsten Fälle gewesen, die Cardinal jemals zu bearbeiten hatte.
Anschließend hatte Plaskett nicht nur mit seinem Staatsanwalt und seinem Richter Pech gehabt, sondern auch mit seiner Frau.
Er wurde für fünf Jahre eingebuchtet, und während er im Knast saß, hatte seine Frau erkannt, dass sie lesbisch war, ihn mitsamt dem Kind verlassen und lebte seitdem mit einer Frau zusammen, die ihren Lebensunterhalt als Hochspannungstechnikerin verdiente.
Plaskett konnte den Schicksalsschlag
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