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Eisiges Herz

Eisiges Herz

Titel: Eisiges Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Blunt
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Hund. Und auf seinem Schreibtisch hatte er dieses komische alte Maschinchen stehen. Einmal hatte er ihr sogar gezeigt, wie es funktionierte. Als er ihr die Einzelteile erklärt und all die Hebelchen betätigt hatte, war er ihr vorgekommen wie der beste Vater, den sie sich vorstellen konnte, ein Vater, wie sie ihn nie gehabt hatte.
    Also, er versuchte wirklich, ihr zu helfen, aber Melanie wünschte, er hätte ihr nicht so eine schwierige Hausaufgabe gegeben. Wie formulierte man einen Abschiedsbrief, wenn man tatsächlich vorhatte, sich umzubringen? Vor drei oder vier Wochen wäre es ihr nicht schwergefallen, so einen Brief zu schreiben. Vor drei oder vier Wochen hatte sie sich nur deswegen nicht umgebracht, weil sie sich nicht dazu hatte aufraffen können.
    Am Ende des Korridors hörte sie ihre Hausgenossinnen Rachel und Laryssa über etwas lachen. Melanie und Rachel waren früher beste Freundinnen gewesen, aber in den letzten Jahren war Rachel immer mehr auf Distanz gegangen – zweifellos, weil Melanie dauernd so deprimiert war. Rachel und Laryssa waren ganz anders als sie, sie ließen immer die Zimmertür offen, waren immer unterwegs zu einer Verabredung oder einer Party.
    Melanie hatte in diesem Jahr angefangen, englische Literatur zu studieren, und sie beschloss, das Verfassen desAbschiedsbriefs nicht als therapeutische, sondern als literaturwissenschaftliche Übung zu betrachten. Jedes Mal, wenn sie kurz davorgestanden hatte, sich umzubringen, hatte sie – zumindest im Kopf – mehrere Abschiedsbriefe formuliert. Manchmal waren sie an ihre Mutter adressiert gewesen, manchmal an ihren Stiefvater, manchmal an den leiblichen Vater, den sie nie gekannt hatte, oder auch an die Welt im Allgemeinen. Aber sie hatte noch nie einen wirklich geschrieben.
    Natürlich handelte es sich nicht unbedingt um eine literarische Form, die man analysieren oder studieren konnte. Melanie hatte Sylvia Plaths Gedicht
Ariel
gelesen – ihrer Meinung nach ein langer Abschiedsbrief, ein Brief von einer Lady Lazarus, die beschlossen hatte, baldmöglichst den Schritt in die andere Welt zu tun. Ein Abschiedsbrief voller rasender Wut.
    Dann war da noch Diane Arbus. Melanie war völlig beeindruckt gewesen von ihren Fotos von Freaks: dem Mann mit dem Flohzirkus, dem Transvestiten, dem jüdischen Riesen. Offenbar hatte die Fotografin sich selbst als Randfigur empfunden. Insgesamt fühlte Melanie sich Diane Arbus ähnlicher als Sylvia Plath; wahrscheinlich hätten Diane und sie gute Freundinnen sein können.
    Jedenfalls bin ich keine Dichterin, dachte Melanie. Ich könnte niemals solche Gedichte schreiben wie Sylvia Plath, selbst wenn ich wollte. Und alles, was Diane Arbus geschrieben hatte, ehe sie eine Überdosis Schlaftabletten genommen und sich die Pulsadern aufgeschnitten hatte, war: »Das letzte Abendmahl …« Es war, als hätte sie niemanden mit einem Abschiedsbrief behelligen wollen. Das letzte Abendmahl.
    Tja, Melanie hatte gerade ein Sandwich mit Erdnussbutter und Schinken gegessen, und sie konnte schlecht »Das letzte Mittagessen« auf einen Zettel schreiben und den mit zu Dr.Bell nehmen. Sie hatte das Gefühl, dass er sie für ein bisschen unterbelichtet hielt, und sie wollte ihn gern beeindrucken.
    Ich weiß einfach nicht mehr weiter
…, schrieb sie. Das wäre an die Welt im Allgemeinen gerichtet, als würde die Welt sich dafür interessieren. Das war so ziemlich das Langweiligste, was man schreiben konnte, auch wenn es ihre Situation genau erfasste. Es brachte die Sache auf den Punkt, warum also noch weitere Worte verschwenden? Vielleicht war das der Grund, warum viele Künstler Selbstmord begingen. Es war jedenfalls die eloquenteste und zugleich die knappste Aussage. Worte können überflüssig sein.
Liebe Mom, das wird dir schrecklich wehtun, und deswegen möchte ich zweifelsfrei klarstellen, dass DICH KEINE SCHULD TRIFFT. Wer auch immer mein Vater ist, es war rücksichtslos von ihm, dich zu verlassen, als du schwanger warst, und dass du mich ganz allein großgezogen hast, war eine beachtenswerte Leistung. Das hast du großartig gemacht, viel besser, als ich es je hätte machen können. Dein einziger Fehler war, dass du diesen Dreckskerl geheiratet hast, wie wir ihn nennen, aber ich weiß natürlich, dass du eine alleinerziehende Mutter warst, dass du allein und überfordert warst, und als er daherkam und dir Liebe und Schutz und ein bisschen Freude versprach, muss er dir wie ein Geschenk des Himmels vorgekommen sein. Er hat dir

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