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Eisiges Herz

Eisiges Herz

Titel: Eisiges Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Blunt
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schrecklich wehgetan, und das werde ich ihm niemals verzeihen …
    Es hatte keinen Zweck, ihrer Mutter zu erzählen, was der Dreckskerl ihrer Tochter angetan hatte. Nicht in einem Abschiedsbrief.
Es tut mir so leid, dass ich all die Liebe und Fürsorge, die du mir gegeben hast, auf diese grausame Weise vergelte. Aber ich leide an unheilbarer Traurigkeit, so wie andere an unheilbarem Krebs leiden. Mein Leben ist nichts mehr wert. Ich kann weder gutes Essen noch Sonnenschein genießen, und ich finde kaum noch Schlaf. Wenn ich morgens aufwache, empfinde ich nichts als Angst und Erschöpfung. Und obwohl ich einen wunderbaren Therapeuten habe, weiß ich, dass für mich keine Hoffnung auf Heilung besteht.
    Inzwischen war es fast dunkel geworden. Es war still im Haus: Rachel und Laryssa waren entweder ausgegangen oder hatten sich an ihren Schreibtisch gesetzt, um zu lernen. Melanie saß im Halbdunkel, den Kugelschreiber in der Hand, und starrte ins Leere. Das passierte ihr manchmal, dann verharrte sie absolut reglos, im Kopf nichts als weißen Nebel. Mal verging eine Stunde, manchmal auch zwei. Diesmal dauerte es nur eine halbe Stunde.
    Sie stand auf und ging ins Bad am Ende des Flurs. Das Waschbecken war mit winzigen braunen, schwarzen und blauen Sprenkeln übersät, als hätte es die Masern. Offenbar hatte Laryssa mal wieder mit einem neuen Make-up experimentiert. Laryssa probierte immer wieder neue Schminkstile aus, was Melanie vielleicht auch tun würde, wenn sie es ertragen könnte, lange genug in den Spiegel zu sehen.
    Als sie wieder in ihrem Zimmer war, nahm sie ihr Handy aus der Tasche. »Mom?«
    »Hallo, Mel. Hast du Lust, zum Abendessen rüberzukommen? Ich hab gerade eine Lammpastete im Ofen.«
    »Äh, heute nicht, danke. Aber ich wollte dich fragen, ob du mir dein Auto leihen kannst.«
    »Natürlich. Ich brauche es heute Abend nicht. Aber dumusst es mir heute noch zurückbringen, weil ich morgen früh damit zur Arbeit fahre.«
    »Klar, ich brauche es nur für ein paar Stunden. Ich möchte mit ein paar Freunden zum Chinook fahren, und es ist so lästig, auf den Bus zu warten.«
    »Weißt du, Liebes, wenn du zu Hause wohnen würdest, hättest du viel mehr Freiheit.«
    »Ich bin zu alt, um noch zu Hause zu wohnen, Mom.«
    Melanie zog sich eine Jacke über. Auf dem Weg zu ihrer Mutter dachte sie immer noch über ihre letzte Bemerkung nach. Die Studentenpension würde sie nie als ihr Zuhause empfinden, egal, wie nett Mrs. Kemper war.
    Ihre Mutter löcherte sie mit Fragen über ihr Studium und ihre Mitbewohnerinnen, und es dauerte ewig, bis sie endlich dort wegkam und sich auf den Weg machen konnte.
    Doch jetzt parkte sie am Straßenrand in der Nähe des Hauses, in dem der Dreckskerl wohnte, und wartete – na ja, worauf sie wartete, wusste sie eigentlich nicht so recht. Sein Wagen stand in der Einfahrt, und im Haus brannte Licht. Es war ziemlich groß, ein Einfamilienhaus, eigentlich zu groß für eine einzelne Person.
    Falls er herauskam, würde sie ihn ansprechen. Komm nur raus, du Dreckskerl, dann sage ich dir ins Gesicht, was ich von dir halte. Dann erzähle ich dir, was aus mir geworden ist wegen all der schrecklichen Dinge, die du mit mir gemacht hast, wie elend ich mich mein Leben lang gefühlt habe, wie mir die Scham und die Schuldgefühle die Luft zum Atmen rauben. Falls er herauskam, würde sie ihm sagen, dass sie einen Jungen nicht einmal küssen konnte, ohne an
ihn
zu denken, an diesen Dreckskerl, an sein Gesicht, seinen Penis, seine riesigen Hände. Die Hände, die sie überall angefasst, die sie gefesselt hatten. Die Hände, die die Kamera gehalten hatten.
    Sie würde ihm sagen, dass sie nie ins Internet gehen konnte,ohne daran zu denken, dass irgendwo im Netz ihre Fotos herumschwirrten. Warum sonst hatte er all diese Fotos gemacht? Sie würde ihm sagen, wie sie sich wegen dieser Fotos in Grund und Boden schämte. Selbst in diesem Augenblick kroch ihr bei diesen Gedanken die Scham über den Rücken hoch in die Schultern wie ein Hautausschlag, kroch ihren Hals hoch, bis ihr die Ohren brannten.
    Einen Moment lang hatte sie das Gefühl, sich übergeben zu müssen, doch dann schlug die Übelkeit in Trauer um, die ihr die Brust zuschnürte und Tränen in die Augen trieb. Nein, sie würde jetzt nicht weinen, sie weigerte sich zu weinen. Sie starrte auf das Backsteinhaus mit dem großen Garten und der riesigen Garage und dachte, du verdammter Dreckskerl, wenn du eine neue Frau hast, dann werde ich ihr alles

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