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Eisiges Herz

Eisiges Herz

Titel: Eisiges Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Blunt
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auf dem Riesenrad verlangte er Oralsex.«
    Sie bedeckte ihr Gesicht mit einer Hand.
    »Es war eine Art Vertrag. Er hat sozusagen mit Ihnen verhandelt.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Es gab überhaupt nichts zu verhandeln. Er hat das einfach bestimmt, wissen Sie. Ich war doch erst acht, Herrgott noch mal. Ich habe mich nicht widersetzt. Er war mein Vater. Zumindest habe ich ihn als Vater betrachtet. Damals lebte er ja schon seit Jahren mit uns zusammen.«
    »Und er hat bekommen, was er wollte?«
    »Ja.«
    »Und Sie durften auf das Riesenrad.«
    »Ja.«
    Bell ließ sie eine Weile weinen, sah, wie sich ihr Gesicht verzerrte, wie ihr der Rotz aus der Nase lief, hörte sich ihr widerliches Geheul an. Sie hätte im Zirkus auftreten können: die Superheulsuse, die Tränentrine. Er ließ ihr nicht viel Zeit, er musste die zerstörerische Energie ausnutzen.
    »Dann war da noch die Wasserrutsche«, sagte er. »Die stand doch auch auf Ihrer Liste, oder?«
    Melanie nickte. »Mir ist ein bisschen schlecht. Meinen Sie, wir könnten vielleicht …«
    »Möchten Sie sich hinlegen? An alten Schmerz zu rühren kann einen ganz schön mitnehmen.«
    »Äh, ja, vielleicht mach ich das.« Melanie stand unsicher auf. »Ich komme mir vor wie in einem Cartoon – beim Psychiater auf dem Sofa – darüber gibt es überall Witze. Aber mir ist wirklich schwindlig.«
    »Legen Sie sich ruhig hin. Ich mache keine Witze, versprochen.«
    Vorsichtig legte sie sich aufs Sofa, ließ jedoch die Füße seitlich herunterhängen. Sie nahm ein Kissen, wollte es auf den Boden legen, überlegte es sich anders und legte es stattdessen auf ihren Schambereich. Manchmal konnten Patienten sehr beredsam sein, ohne es zu merken. Ein Sonnenstrahl ließ ihre Haare glänzen.
    »Sie wollten mir gerade von der Wasserrutsche berichten.«
    »Ja. Ich wollte unbedingt auf die Wasserrutsche. Ich glaube, das war das Tollste, was ich als Kind je erlebt habe. Es ist so aufregend, und trotzdem fühlt man sich die ganze Zeit völlig sicher.«
    »Was hat er im Austausch dafür vorgeschlagen?« »Er hat nichts
vorgeschlagen
. Da gab es kein Vertun. Er hat alles einfach bestimmt.«
    »Aber wenn ich Sie richtig verstanden habe, hat er nicht gesagt, wenn Sie auf dieses Karussell wollten, müssten Sie dies tun, und wenn Sie auf das Karussell wollten, müssten Sie jenes tun. War es nicht vielmehr so, dass er Ihnen verschiedene Dinge zur Auswahl gegeben hat?«
    »Im Prinzip ja.«
    »Und Sie haben sich selbst für die Wasserrutsche entschieden?«
    »Ja.«
    »Sie haben sich entschieden. Er hat Sie nicht gezwungen, auf die Wasserrutsche zu gehen?«
    »Eigentlich nicht. O Gott.«
    »Und was hat es Sie gekostet? Was war der Preis für die Wasserrutsche an jenem Sommertag?«
    »Ich musste … na ja. Geschlechtsverkehr.«
    »Geschlechtsverkehr. Vaginale Penetration.«
    »Ja.«
    »Und das haben Sie zugelassen?«
    Wieder begann sie zu weinen, und Bell musste lange warten.
    »Dann erwähnten Sie noch die Geister-Rikscha«, sagte Bell. »Ihr Lieblingskarussell, sagten Sie. Sie konnten es kaum erwarten, auf die Geister-Rikscha zu kommen.«
    »Analsex«, sagte sie einfach so, mit tonloser Stimme. »Die Geister-Rikscha als Belohnung für Analsex.«
    »Und? Hat er bekommen, was er wollte?«
    »Ja. Er hat eine kleine Hure aus mir gemacht. Mit acht Jahren bin ich zur Prostituierten geworden.«
    »Vergessen Sie eins nicht, Melanie: In diesem Land liegt das Mündigkeitsalter bei vierzehn Jahren. Das ist fast doppelt so alt, wie Sie damals waren.«
    Es kostete Bell große Überwindung, das zu sagen, und Melanie schluckte es wie Balsam. Der Effekt war nicht zuübersehen: Ihre Unterlippe begann zu zittern. Es hatte ihn Überwindung gekostet, aber wenn er bei seiner Linie geblieben wäre, hätte sie ihn als gefühllos empfunden, und das hätte sie womöglich verärgert und Widerstand bei ihr ausgelöst, den er wieder hätte brechen müssen. Wenn ein bisschen Nettigkeit und Verständnis das Endspiel um ein, zwei Wochen hinauszögerte, dann war das eben der Preis für professionelle Arbeit.
    »Wir leben in Kanada«, fuhr er fort, »und viele Menschen sind der Meinung, dass das Mündigkeitsalter viel höher angesetzt werden müsste. In den meisten Ländern ist es das. In Großbritannien liegt es bei sechzehn Jahren. Sie waren acht, Melanie. Acht.«
    »Es ist ja nicht so, dass ich nicht gewusst hätte, was er tat. Bis zu dem Zeitpunkt, als wir den Ausflug zu WonderWorld gemacht haben, hatte er mich schon in alle

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