Eiskalt in Nippes
Überstunden taten ihr Übriges dazu, und nun ging auch noch sein bestes Mitglied im Team nach Hamburg.
Westhoven wälzte sich langsam aus dem Bett, ging an die Süßigkeitenschublade in der Küche und aß einen Schokoriegel. Er öffnete die Haustür und sah nach, ob der Zeitungsbote seine Tageszeitung, den Kölner Stadtanzeiger, schon auf die Fußmatte gelegt hatte. Die Zeitungslektüre sollte ihn von seinem Grübeln ablenken. Wenn er nicht schlafen konnte, so wollte er wenigstens lesen, am Liebsten die Lokalberichterstattung. Doch als er die Tür öffnete, lag auf der Fußmatte nur Hannibal, der Kater des Nachbarn, der es mal wieder nicht geschafft hatte, pünktlich nach Hause zu kommen, um reingelassen zu werden. Seine Zeitung war noch nicht da.
Zurück in der Küche nahm er sich aus dem Papiermüll die Prospekte des gestrigen Tages und aß einen weiteren Schokoriegel, den letzten aus seinem Vorrat.
Als er sich wieder ins Bett legte, zeigten die roten Ziffern seines Radioweckers bereits 05.15 Uhr. Noch eine Stunde bis zum Wecken. Erschloss die Augen, schlief nicht richtig tief ein und träumte wirres Zeug.
Als um 06.15 Uhr das Radio laut ertönte, hörte er noch das Ende eines Beitrags zu Aktivitäten von Greenpeace. Er drehte sich zu Anne rüber, die sich die Ohrstöpsel herauszog. Wie die meisten Männer schnarchte auch Westhoven wie ein Sägewerk, wenn er Alkohol getrunken hatte.
Paul hatte ein fürchterliches Gefühl im Mund. Statt einer Zunge schien er einen alten Teppich zu haben. Es fühlte sich so an und schmeckte auch genau so, vermutlich roch es auch so, denn Anne verweigerte ihm den Guten-Morgen-Kuss. Während er als erster ins Bad ging, setzte Anne den Kaffee auf und presste einige Orangen. Danach ging sie ins Bad, und Paul schnitt Brot und deckte den Tisch.
An diesem Morgen war Westhoven wie immer kurz vor halb acht in seinem Büro. Als er sich im elektronischen Zeiterfassungssystem einbuchte, stellte er fest, dass er mittlerweile mehr als 1.000 Überstunden angesammelt hatte und fragte sich wie schon oft, wie er diese jemals abbauen sollte. Wahrscheinlich würde er wie die meisten anderen seiner Kollegen diese Überstunden bis zu seiner Pensionierung vor sich hinschieben und dann einfach früher in den Ruhestand gehen, und das bei hundertprozentigen Bezügen. Das war auch kein schlechter Gedanke.
Ein Kollege hatte es so auf anderthalb Jahre gebracht.
Westhoven hatte im Augenwinkel Dember bei seiner Ankunft über den Gang schleichen gesehen. Er sah übernächtigt aus.
Gerber hingegen kam wie immer lockeren Schrittes zur Dienststelle. Offensichtlich wollte er auch am letzten Tag alles so haben wie immer.
Um 08.00 Uhr trafen sie wie gewohnt zu dritt in Westhovens Büro zusammen und besprachen die weiteren Ermittlungsschritte, als sich Doris Weber telefonisch meldete.
„Hallo Doris“, meldete sich Westhoven, denn seit gestern war das förmliche Siezen nun endlich begraben.
„Guten Morgen, Paul“, ihre Stimme hörte sich irgendwie fröhlicher an als sonst.
„Leider habe ich keine guten Neuigkeiten für euch.“
„Moment Doris, ich schalte auf Laut. Heinz und Jochen sitzen auch hier und können direkt mithören.“
„Hallo Leute. Also, das Zahnschema unseres Toten konnte bislang niemandem zugeordnet werden. Diese Rückmeldung hatte ich heute in meiner Mailbox. Es wäre ja auch zu schön gewesen. Das war das eine. Ich konnte aber anhand der Seriennummer auf der Hüftgelenkprotheseendlich die Klinik feststellen.“
Gerber ballte seine Finger zu einer triumphierenden Bewegung: „Ja!“, kam es kurz und knapp.
„Nicht so schnell, Jochen“, bremste ihn Doris Weber. „Die hatten vor zehn Jahren einen Brand im Krankenhaus und zwar an der Verwaltung. Hierbei ist die gesamte Aktenhaltung vor 1990 vernichtet worden. Das heißt, alles, was vorher archiviert war, ist ein für allemal weg. Wieder Pech, auch das wäre wohl zu einfach gewesen. Zumindest wissen wir, dass unser Mann schon mindestens 20 Jahre tot sein dürfte bzw. die Operation ist schon so lange her.“
„Na prima“, Westhovens Laune war mit einem Mal wieder auf einem Tiefpunkt.
„Ich bin gespannt, wann wir endlich wissen, wer der Tote ist.“
Er beendete das Gespräch mit Doris Weber und wandte sich wieder an seine beiden Kollegen.
„Unsere einzige Spur, die wir jetzt verfolgen können, ist Erna Schmitz, und daher werdet ihr beide euch vordringlich erst einmal um die Tochter Ursula Meierbrink kümmern. Versucht sie zu
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