Eiskalt in Nippes
Traube an der polizeilichen Absperrung zusammen. In erster Reihe stand auch sein „spezieller Freund“, der Lokalreporter Dirk Holm. Westhoven merkte, wie sein Blutdruck langsam stieg. Holm war der typische Sensationsreporter. Ihm war vollständig gleichgültig, was an seinen Berichten der Wahrheit entsprach und wem er damit schadete. Für ihn galt nur eine Maxime: Sensationen um jeden Preis.
Die Schaulustigen unbeachtet lassend, parkte er seinen Corsa neben dem Streifenwagen auf dem Bürgersteig.
Dirk Holm versuchte, sich ihm in den Weg zu stellen, kam aber nicht dazu, ihm in seiner provozierenden Art eine Aussage zu entlocken. Westhoven schob sich einfach an ihm vorbei, ohne zu reagieren, und ging schnellen Schrittes ins Haus. Den beiden Beamtinnen der Wache Nippes, die im Hausflur standen, hielt er seinen Dienstausweis entgegen und begrüßte sie mit: „Westhoven, Mordkommission“, als die ihn wohl gerade aufhalten wollten.
„Hallo Paul, das fängt ja gut für dich an. Hast du nicht noch Urlaub“, kam Gerber durch den Flurgang auf ihn zu. „War es wenigstens schön in der Toskana?“
„Danke, Jochen. Es war toll, aber wie immer zu kurz“, entgegnete Westhoven knapp. „Klär mich mal bitte auf. Was haben wir hier?“
„Eine Kühltruhe mit einer tiefgefrorenen Leiche, mehr weiß ich auch noch nicht.“
„Männlich oder weiblich?“, wollte Westhoven wissen.
„Eindeutig männlich“, nickte Gerber.
Unten im Keller angekommen bat Westhoven einen Moment um Ruhe. Wie immer wollte er kurz die Augen schließen und die Umgebung auf sich wirken lassen. Er hörte das leise Surren der Gefriertruhe.
„Jochen, leuchte mal mit der Taschenlampe.“
Gerber drückte den Knopf seiner LED-Lenser. Sie hatte die unhandliche Maglite ersetzt, nachdem er sie bei der Tombola auf dem IPA-Frühlingsball (International Police Association) in Köln gewonnen hatte. Sie war außerdem heller und hielt länger durch.
Von der Truhe führte ein weißes, jetzt grau scheinendes Elektrokabel zur Leitung der Deckenbeleuchtung unterhalb der Treppe.
„Privileg?“, fragte er, als er an die Truhe herangetreten war.
Gerber nickte abermals.
„Clever gemacht, einfach das Kabel an den Hausstrom angeklemmt“, sagte Westhoven. „Das konnte natürlich keiner auf seiner Stromrechnung merken.“
Paul Westhoven streifte ein Paar Latexhandschuhe über und hob dann den Deckel der Truhe an. Das Licht flackerte in der Truhe und für einen Moment schien es ihm deshalb so, als bewege sich die Leiche. Westhoven schüttelte sich, denn eine tiefgefrorene Leiche hatte er bislang auch noch nicht gesehen.
„Da, schau mal!“
Er zeigte auf den Kopf des Toten. „Wieso hat keiner von euch den eingeschlagenen Schädel erwähnt?“ Der ärgerliche Unterton in seiner Stimme war deutlich zu bemerken, als er die Truhe schloss.
„Paul, so genau habe ich nicht reingeschaut. Ich wollte erst mal auf dich und den Erkennungsdienst warten. Außerdem ist ja wohl sowieso nicht davon auszugehen, dass er sich in Ruhe eingemauert hat und freiwillig in die Truhe gestiegen ist“, rechtfertigte sich Gerber.
„Schon gut, hast ja recht, spielt im Moment sowieso keine Rolle. Wo bleibt eigentlich die Rechtsmedizinerin?“, fragte Westhoven in Dembers Richtung blickend.
Dember zuckte mit beiden Schultern und machte dabei ein fragendes Gesicht, was er mit einem mürrischen „Was weiß ich?“ bekräftigte.
Westhoven konnte nicht wissen, dass sich Dember und die Rechtsmedizinerin Dr. Doris Weber wieder mal getrennt hatten.
Einen Moment später hörte er, wie jemand die Treppe herunterkam und freundlich grüßte.
„Hallo, Frau Dr. Weber. Schön, dass Sie jetzt auch da sind.“
„Ja, bin ich auch. Der Straßenverkehr ist um diese Uhrzeit einfach ätzend“, konterte sie kühl.
Westhoven zeigte ihr die Gefriertruhe, und nachdem sie sich ebenfalls Latexhandschuhe übergezogen hatte, öffneten sie sie gemeinsam. Gerber leuchtete wieder mit seiner Taschenlampe hinein.
„Tja, der ist wohl tot, würde ich sagen“, sagte sie trocken. „Mehr kann ich hier nicht sagen, das muss …“
„…eine Obduktion klären, die ich hiermit anordne“, beendete Staatsanwalt Asmus, der unbeachtet die Treppe heruntergekommen war, den Satz:
„Herr Westhoven, könnten Sie bitte den Transport veranlassen? Eine Spuren schonende Leichenschau ist hier ja überhaupt nicht möglich.“
Westhoven überlegte, wer denn die Truhe samt Inhalt transportieren könnte und vor allem auch
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