Eiskalt in Nippes
dürfte. Bestimmt gab es mal einen längeren Stromausfall“, mutmaßte er.
„Die Weber wird uns bestimmt bald was sagen können“, antwortete Westhoven. „Was war das eigentlich genau für eine Truhe?“, wollte er noch wissen.
Gerber nahm seine Notizen und las vor: „Privileg, vier Sterne, weiß mit grauem Deckel, an dem ein Griff vorne fehlt, 90 cm breit, 86 cm hoch, 68 cm tief, 300 Liter. Scheint ein älteres Modell zu sein“, fügte er seine eigene Meinung hinzu.
„Aber hör mal, Paul, bevor die anderen kommen, muss ich dir noch dringend was in eigener Sache sagen“, wechselte Gerber abrupt das Thema und wurde plötzlich ganz ernst.
Paul Westhoven schüttelte fragend seinen Kopf und deutete mit den Händen, dass Gerber doch endlich mit der Sprache rausrücken sollte.
„Ich muss bald nach Hamburg“, sagte er zögerlich und schaute nun fragend in Paul Westhovens Gesicht.
„Ja, und? Willst du jetzt Urlaub einreichen oder was?“
„Schön wäre es, aber so ist es leider nicht“, machte Gerber eine kurze Pause. „Bei meinem Vater haben die Ärzte Alzheimer im fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert und es wird immer schlimmer. Mal erkennt er meine Mutter noch, mal fragt er, wer die Frau sei und was sie in seinem Zimmer zu suchen habe. Meine Mutter ist völlig fertig und mit den Nerven am Ende. Sie schafft es allein nicht mehr. Ich will und muss jetzt meinen Eltern helfen. Sie bedeuten mir alles. Jetzt ahnst du schon, worum es geht oder?“, verstummte er und wartete auf die Reaktion von Westhoven.
Dieser schluckte: „Klar verstehe ich das, tut mir echt leid“, sagte er mit bedrückter Stimme. Hatte er doch über Jahre mit Gerber Seite an Seite „gekämpft“.
„Ich habe mich natürlich sofort darum bemüht, ob ich einen Tauschpartner in Hamburg finde“, unterbrach Gerber das Stimmungstief.
„Wie es aussieht, hattest du Erfolg.“
„Ja, zum nächsten Ersten sogar schon. Und zum Glück hat mein Tauschpartner den gleichen Dienstgrad, sonst wäre es echt ein Problem geworden.“
„Wieso, reicht nicht einfach ein Tauschpartner?“
„Nee, so einfach ist es nicht. Ohne identische Besoldungsstufe ist ein Tausch nahezu unmöglich. Unser Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personal der Polizei (LAFP) stimmt sonst einem Antrag gar nicht erst zu“, erklärte Jochen Gerber. „In meinem Fall aber hat alles gepasst, Glück gehabt“, machte er eine Faust und streckte den Daumen nach oben. „Aber unser KIL hat dennoch interveniert und will dem Gesuch nur zustimmen, wenn Hamburg mich umgehend hierhin zurück abordnet. Ich soll den neuen Kollegen einarbeiten, außerdem beklagte er den akuten Personalmangel. Das Übliche halt.“
„Was soll denn der Quatsch?“, reagierte Westhoven sauer. „Du bist doch nicht der einzige KK 11er, der das kann. Soll ich mal mit ihm reden? Auch wenn ich dich nur ungern ziehen lasse, aber der nächste Erste ist schon am kommenden Freitag. Dann wärst du ja nur noch vier Tage hier?“
„Lass gut sein, Paul, ist nicht nötig, das passt zeitlich immer noch“,hoffte Jochen Gerber. Sicher war er sich aber nicht. Jederzeit konnte ihn der Hilferuf seiner Mutter ereilen. Und wenn es hart auf hart kam, würde er es schon durchziehen.
„Okay, deine Entscheidung, dann warten wir ab. Die Personalstelle wird sich schon melden, wenn es akut wird.“
„Soweit ich weiß, heißt der Kollege aus Hamburg Toni Krogmann“, beendete Gerber das Thema.
Nachdem die Gefriertruhe gegen 12.00 Uhr in die Rechtsmedizin Köln gebracht worden war, wurde sie zum kontrollierten Auftauen der Leiche im Vorraum des Kühlkellers abgestellt. Wie sich bald zeigte, hatte die Truhe die Zeit unter der Treppe nicht heil überstanden. Sie hatte im Boden ein Leck. Die auftauende Fäulnisflüssigkeit verteilte sich tropfend auf dem Fliesenboden. Schon bald schwängerte faulig penetranter Gestank die Luft.
Doris Weber atmete unter ihrem Atemschutz tief durch, trat an die Truhe heran und hob den Deckel. Kälteschwaden stiegen aus ihrem Innern auf. Als der Deckel in der senkrechten Position stand, schaltete sie ihr digitales Diktiergerät ein und fing mit der äußeren Beschreibung des Leichnams an:
„Die männliche Leiche befindet sich in Hockstellung in einer Tiefkühltruhe der Marke Privileg, Typ unbekannt, Maße der Truhe 90 cm breit, 86 cm hoch, 68 cm tief, Inhalt ca. 300 Liter. Der Kopf des Toten ist leicht nach vorne geneigt. Die Beine sind angewinkelt. Die Arme sind nach vorne
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