Eiskalt Ist Die Zaertlichkeit
zurückkehrte, würde Mary Grace gern bereit sein, alle Lügen, die sie ihm im Lauf der Jahre eingetrichtert hatte, zu widerrufen.
Nächste Woche um diese Zeit würden sie wieder eine glückliche Familie sein.
Na ja, zumindest er und Robbie würden glücklich sein.
Mary Grace sollte nie wieder erfahren, was Glück bedeutete.
Sobald er sie nach Asheville zurückgebracht hatte, würde Mary Grace sich dem Vorwurf der Kindesentführung stellen müssen. Vielleicht musste sie dafür, dass sie seinen Sohn gekidnappt hatte, sogar ins Gefängnis gehen. Aber keine Gefängnisstrafe wäre lang genug, um ihn für die sieben Jahre von Robbies Leben, die sie ihm gestohlen hatte, zu entschädigen. Vielleicht reichte das aber, um sie ein für alle Mal in ihre Schranken zu weisen. Und wenn sie nicht ins Gefängnis musste, würde er sie halt selbst zur Räson bringen müssen. Er senkte den Blick auf seine Hand, die sich unwillkürlich zur Faust ballte. Das würde ihm bestimmt nicht leicht fallen. Die Vorstellung, Mary Grace zu bestrafen, ohne sie zu töten, fiel ihm immer schwerer.
Er fädelte sich in den fließenden Verkehr in Richtung Innenstadt ein. An einem klaren Tag wie diesem würde die Aussicht vom Sears-Turm grandios sein.
Chicago
Sonnabend, 17. März, 17:00 Uhr
Max blickte zum zehnten Mal innerhalb von ebenso vielen Minuten auf seine Armbanduhr. Caroline hielt sich entschieden zu lange im Waschraum auf. Allmählich machte er sich Sorgen. Im Grunde machte er sich schon den ganzen Tag über Sorgen, kämpfte mit seinen Gefühlen – oder mit dem Mangel an Gefühlen. Er war immer noch wie betäubt, wusste nicht, was er denken oder sagen sollte.
Gott.
Sie war misshandelt worden. Eine Treppe hinuntergestoßen worden, während der Genesung sich selbst überlassen worden. Da war noch mehr, er wusste es. Alles, was ihr widerfahren war, bevor sie die Treppe hinuntergestoßen wurde, alles, was diese Düsternis in ihren Blick trieb und sie bei jeder plötzlichen Bewegung zusammenzucken ließ.
Max wollte wütend sein. Er wünschte sich einen reinigenden wilden Wutausbruch. Aber er war nur … betäubt.
Und Caroline war ihm so fern, seit sie an diesem Morgen ihre Wohnung verlassen hatten. Nicht ein einziges Mal hatte sie in irgendeiner Weise die Initiative ergriffen. Hatte kein Gespräch begonnen. Ihn nicht berührt. Zärtlich schon gar nicht. Und der Umstand, dass er sie so begehrte, verursachte ihm ein schlechtes Gewissen. Nun, dachte er, ein schlechtes Gewissen – immerhin etwas. Ein Gefühl. Ein Anfang. Aber wie konnte er ein schlechtes Gewissen haben wegen Dingen, an denen er nicht beteiligt war, und es dann noch in etwas Gutes umwandeln? Etwas, das Caroline genesen lassen könnte?
Er war so verunsichert. Sollte er von sich aus die Initiative ergreifen? Wünschte sie sich seine Berührung? Das hatte er sich schon während des gesamten Vormittags gefragt, sogar als Franks Basketballtraining sich dem erfolgreichen Ende näherte. Den ganzen Nachmittag hatte er verzweifelt überlegt, während er und Caroline ziellos durch Chicago fuhren und nicht wussten, wohin sie gehen sollten. Und jetzt saß er angsterfüllt vor dem leeren Platz in dem Restaurant, in das sie eher zufällig hineingeraten waren. Keiner von beiden hatte sich ausdrücklich für dieses Lokal entschieden. Keiner von ihnen hatte eines der Gerichte gewählt, sondern einfach das erste auf der Speisekarte bestellt.
An diesem Tag hatte er im Grunde überhaupt keine Entscheidungen getroffen. Er hatte sich treiben lassen.
Sein Verstand befreite sich aus dem Nebel, als hinter ihm eine Frau mit vertrauter Stimme sagte: »Ich benötige keinen eigenen Tisch, danke. Ich gehöre zu diesem Herrn.«
Max stellte fest, dass es ihn in keiner Weise überraschte, als Dana Dupinsky sich ihm gegenübersetzte und zu der Kellnerin aufblickte, die ihr offenbar vom Eingang her gefolgt war. »Würden Sie mir bitte ein Glas Wasser mit Zitrone bringen?«
Die Kellnerin blickte Max an, und er nickte. »Sie gehört zu mir.«
Dana lächelte mitfühlend. »Nun, wie geht’s?«, fragte sie und zog Carolines Teller zu sich heran.
»Es geht«, antwortete Max vorsichtig.
Dana tunkte eine Fritte in ein Schälchen mit Ketchup und betrachtete eingehend ihr Werk. »Sie hat’s Ihnen also erzählt?«, fragte sie, hob den Blick und sah ihn an.
Max wandte sich ab, brachte keine Antwort auf die unausgesprochene Frage in ihren Augen zustande. Er nickte, war im Augenblick nicht fähig zu
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