Eiskalt Ist Die Zaertlichkeit
Was hatte er sich überhaupt dabei gedacht, ihr Gesicht derartig zu malträtieren?
Er holte tief Luft. Jetzt durfte er nicht die Beherrschung verlieren. Beherrschung und Gewitztheit – dadurch war er unerreichbar für Ross und ihre armseligen Ermittler. Er hatte keine Spuren hinterlassen, die ihn mit einer der Leichen in Verbindung bringen könnten, nicht einmal dann, wenn irgendwer schlau genug wäre, danach zu suchen. Und niemand würde nach solchen Spuren suchen. Bei Evie Wilson hatte er ein Kondom benutzt. Er hatte eine Nutte aufgegabelt, die niemand vermissen würde, und niemand hatte ihn mit dem alten Mann zusammen gesehen. Und was die anderen betraf … Er zwang sich zu einem Schulterzucken, und die Geste gab ihm seine Zuversicht zurück.
Niemand würde davon erfahren. Niemand käme je auf die Idee, dass er Susan Dingsbums von der Brücke in den Fluss Tar gestürzt hatte. Crenshaw. Susan Crenshaw hieß sie. Er durfte die Einzelheiten nicht vergessen. Durch seine Erinnerung an alle Einzelheiten war er Ross überlegen. Durch die Erinnerung an alle Einzelheiten würde er seinen Jungen zurückbekommen und Mary Grace der Strafe zuführen, die sie verdient hatte.
Sie beobachtete ihn, ihr Blick folgte jeder seiner Bewegungen. Er würde nicht zulassen, dass sie ihn ins Wanken brachte, dass sie ihn dazu brachte, sein Ziel aus den Augen zu verlieren. Er würde nicht nach ihren Regeln spielen. Sie musste seinen Regeln folgen. Sie würde verlieren. Er würde gewinnen. Er gewann immer.
»Du magst dich ja für ziemlich klug halten, Mary Grace«, sagte er mit einem leichten Lächeln, das breiter wurde, als ihr wachsamer, verachtungsvoller Blick flackerte. »Aber ich bin klüger. Vergiss das nie. Ich muss in die Stadt. Ich werde eine Weile fort sein.« Er griff in seine Jackentasche und zog das zur Neige gehende Drahtknäuel heraus. »Hände hoch.« Er warf ihr ein höhnisches Lächeln zu. »Bitte.«
Caroline vermied es, die Tür anzusehen, die das schmutzige Schlafzimmer von dem noch schmutzigeren vorderen Raum trennte. Sie musste ihn hier halten, ihn ablenken, damit Nicky die Möglichkeit hatte zu fliehen. Sie hoffte, dass Nicky ein ebenso gehorsames wie mutiges Kind war. Sie hoffte, dass er bereits draußen und unterwegs war, wie sie es ihm befohlen hatte.
Rob war schließlich doch noch klar geworden, dass es seinem unmittelbaren Ziel nicht zuträglich war, wenn er sie ins Gesicht schlug. Er hatte es schneller begriffen, als sie angenommen hatte. Sie durfte ihn nicht unterschätzen, denn das könnte ihren Tod bedeuten. Es könnte Nickys Tod sein. Es könnte für Tom lebenslänglich mit einem brutalen, sadistischen Ungeheuer bedeuten.
»Nein.« Ihre Stimme war heiser, weil sie lange nicht gesprochen und nichts getrunken hatte. Sie krampfte die Hände zusammen und hielt sie hoch, wohl wissend, dass sie damit höchstens fünf oder zehn Sekunden gewann. Rob schob ihre Hände grob in die gewünschte Haltung. Nun gut, fünf Sekunden. Der Draht schnitt tief in ihr wundes Fleisch. Sie biss sich auf die Lippe, um nicht das Gesicht zu verziehen. Er hatte sie wenigstens nicht vergewaltigt. Noch nicht. Sie hatte ein bisschen Zeit gewonnen.
Er schleuderte sie zurück auf die Matratze, aus der sich eine feine Staubwolke erhob und dann wieder niederlegte.
»Du wirst keinen Erfolg haben, weißt du?«, sagte sie, als er einen Schritt auf die Tür zuging. »Diese Polizistin, Ross. Sie ist dir auf der Spur. Die Polizei in Chicago wird wissen, dass du mich gekidnappt hast.« Sie betete, dass sie in diesem Punkt Recht haben möge, dass irgendwer eine der Nachrichten gefunden hatte, die sie auf dem Weg von Chicago hierher in schmutzigen Toiletten hinterlassen hatte.
Robs Augen sprühten Funken. »Die Polizei in Chicago weiß nicht, wo ihr eigener Kopf ist, und was Ross betrifft – sie wird nicht mehr lange hier sein.«
Caroline schluckte, bemüht, ihre Mundhöhle so weit anzufeuchten, dass ihre Stimme nicht wie die eines armseligen Frosches krächzte. »Das ist gut, Rob. Sehr gut. Die Polizei in Chicago besteht aus tapsigen Idioten, weil du es so willst, und Ross willst du umbringen, um sie dir aus dem Weg zu räumen. Schön, dass du glaubst, die Welt richtete sich nach deinen Anordnungen.« Trotz ihres wunden Rachens brachte sie einen Tonfall beißenden Spotts zustande. »Du kannst sie alle umbringen, aber das bringt dich meinem Sohn keinen Schritt näher.«
Das reichte. Sein Gesicht lief rot an, und er ballte die eine Hand
Weitere Kostenlose Bücher