Eiskalt wie die Nacht: Thriller (Dicte Svendsen ermittelt) (German Edition)
sich dann wieder zusammen. Er musste an seine Begegnung mit dem Hirsch auf der Lichtung denken, dieser ungezähmten, wilden Schönheit. Etwas, das man nicht verändern oder stören durfte, sondern nur beobachten, ohne tatsächlich zu begreifen, wovon man gerade Zeuge wird.
Er war verzaubert von ihrem Anblick, konnte seine Augen nicht von ihr lassen, bis die Musik erstarb und sie wieeine Rose unter dem Gewicht des Regenwassers zerbrach. Müde. Aber ohne die Wut und Angst, die sie vorher erfüllt hatte.
Sie hatten sich gegenseitig von ihren Erlebnissen erzählt: Sie hatte ihm, noch zitternd und aufgewühlt, von ihrer Flucht vor dem schwarzen Auto erzählt. Danach saß sie in Decken gehüllt auf dem Sofa, trank drei Becher Tee und kam langsam zur Ruhe.
Dann war Peter an der Reihe und berichtete von seiner Begegnung mit Miriam und was sie ihm über Eriks zweites, heimliches Leben verraten hatte. Felix’ Wut und Angst hatte ihn überrumpelt. Er hätte sie gerne vor dieser unangenehmen Wahrheit verschont.
»Er hat mich mal geliebt.«
Sie sagte das mit dieser Sturheit und Überzeugung in der Stimme, die so typisch für sie war, aber der Zweifel kam sofort hinterher: »Das muss er doch getan haben.«
Was hätte er dafür gegeben, ihre Zweifel zu zerstreuen. Nur, damit sie wieder lächeln konnte.
»Da bin ich ganz sicher«, hatte er gesagt.
Da hatte sie die Musik aufgelegt und mit geschlossenen Augen zu tanzen begonnen, als könne sie so Enttäuschung und Schmerz davonjagen. Vielleicht gelang ihr das sogar.
»Ich würde dich gerne malen, wenn du tanzt«, sagte er, als sie neben ihm aufs Sofa plumpste und sich zusammenrollte.
»Du malst doch keine Menschen.«
»Ich könnte ja mal eine Ausnahme machen.«
Sie lächelte ihn an, aber er sah, dass sie in Gedanken schon wieder bei Erik war. Sie nahm die rote Aktentasche, drückte sie an sich und trommelte mit den Fingern auf das Leder.
»Er muss Feinde gehabt haben. Die hat man doch garantiert in der Drogenbranche, oder?«
Was war für sie eigentlich das größere Übel, die Drogen oder die anderen Frauen, fragte Peter sich. Aber das Schlimmste war wahrscheinlich die Lüge. Denn das zog alles in Zweifel, woran sie geglaubt und worin sie Vertrauen gehabt hatte. Es war auch viel blindes Vertrauen gewesen.
»Ich glaube nicht mehr daran, dass es ein Unfall war«, stieß sie plötzlich hervor.
»Aber die Havariekommission hat doch keine Hinweise auf etwas anderes gefunden.«
»Das war vor all dem hier«, sie zeigte auf die Kisten aus Eriks Büro und die Aktentasche. »Sie haben nichts gefunden, weil sie gar nicht konnten.«
»Ist denn die Untersuchung abgeschlossen?«
»Nein. Ich habe morgen einen Termin mit denen. Und da werde ich ihnen erzählen, was ich jetzt alles weiß.«
Sie sprang auf und lief im Zimmer auf und ab, wie von einem inneren Motor angetrieben.
»Die Frage ist doch, wer dahintersteckt. Wer Erik getötet hat, hat auch Maria getötet. Und das sind dieselben, die jetzt hinter mir her sind. Die glauben, dass ich etwas weiß, oder sie haben Angst, dass ich mich an etwas erinnern könnte.«
Wie auf ein Stichwort sahen beide auf die rote Aktentasche.
»Lass sie uns noch einmal ganz genau untersuchen«, schlug er vor. »Hol doch mal ein Messer oder eine Schere. Wir werden sie wohl oder übel zerschneiden müssen.«
»Glaubst du wirklich, dass er das Futter aufgetrennt hat, um Drogen darin zu verstecken?« Aber sie gab sich die Antwort gleich selbst. »Da ist doch gar kein Platz drin. Das würde man doch spüren.«
Er gab ihr recht.
»Das ist eine falsche Fährte«, sagte sie. »Ich habe für eine falsche Fährte mein Leben aufs Spiel gesetzt.«
»Kann schon sein. Jetzt hol mal die Schere.«
Er sah ihr hinterher, als sie in der Küche verschwand. Klein und zerbrechlich in einem viel zu großen Pullover und mit Wollsocken an den Füßen.
»Da, bitte«, sie reichte ihm die Schere und er begann vorsichtig die Tasche aufzuschneiden.
»Das ist echt schade um das Geschenk deiner Schwester«, sagte er, während sich die Schere durch das Futter fraß.
»Ich habe gar keine Schwester. Und in Barcelona schon mal zweimal nicht.«
»Ich habe vergessen, wie gut du lügen kannst«, sagte er mit hochgezogener Augenbraue.
»Tja, Not macht erfinderisch.«
Er merkte nicht, dass er sie anstarrte und dabei seinen Gedanken über ihre Verletzlichkeit nachhing.
»Hör auf, mich so anzuglotzen.«
Sie klang ganz verlegen. Er musste unwillkürlich lächeln, denn er
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