Eiskalt wie die Nacht: Thriller (Dicte Svendsen ermittelt) (German Edition)
wünschte sich den Tod nicht, aber er konnte ein Preis sein, der es wert war zu bezahlen.
»Du bist ein verdammtes Schwein, Blackie.«
Er wurde rot im Gesicht. Plötzlich fühlte sie sich an jenen unheilvollen Tag auf dem Meer erinnert. Sie waren auf einem Boot: Tomas, Blackie und sie. Und plötzlich war Tomas weg.
»Außerdem bist du ein verdammter Lügner. Du hast Tomas damals über Bord gestoßen.«
Sie sah, wie sich die Muskeln an seinem Hals anspannten. Das Gesicht hatte die Farbe seines Muttermals angenommen.
»Das ging nicht anders. Das konnte so nicht weitergehen.«
Verwirrt schüttelte sie den Kopf.
»Was konnte so nicht weitergehen?«
»Das weißt du ganz genau.«
Sie wurde nachdenklich, versuchte sich genau an den Tag zu erinnern:
Das Wasser war klar und warm. Sie angelten. Tomas und Blackie spießten Sandwürmer auf die Haken. Tomas’ Augen leuchteten vor Faszination. Er starrte begeistert auf die Eingeweide der Würmer, die hervorquollen. Er berührte sie und leckte daran. Sein ganzes Gesicht strahlte vor Glück.
Sie angelten und die Jungs fingen sogar ein paar kleinere Fische. Blackie machte sie sofort vom Haken ab und warf sie zurück ins Meer. Tomas hingegen ließ sie am Haken hängen und drehte ihn hin und her, um zu sehen, wie die Fische darauf reagierten. Dann zog er den Haken heraus und stach damit in ihre Augen.
Und plötzlich lag er selbst am Meeresgrund und schnappte nach Luft wie die Fische an Land.
»Es war Tomas!«, stieß Kir hervor. »Der Hahn und die Katze, das ist Tomas gewesen. Und ich habe immer geglaubt, du hättest das getan.«
Blackie schnaubte verächtlich.
»Warum sollte ich Freude daran haben, ein Tier zu quälen? Ich habe mir viel zu Schulden kommen lassen, aber Tierquälerei gehört nicht dazu. Ich dachte, da würdest du selbst drauf kommen.«
Tomas als kleiner Junge. Der schweigsame, ängstliche Tomas, der immer erkältet gewesen war. Mager und zart und eine Haut wie ein Mädchen. Introvertiert. Es war immer ein Rätsel, was in ihm vorging. Von Tomas gab es selten eine Antwort. Man konnte ihn ärgern oder schubsen, ihn ignorierenoder verprügeln. Für Tomas war das alles das Gleiche. Mit einer einzigen Ausnahme: Nach dem Unfall hatte er panische Angst vor Wasser entwickelt. Er hatte Panik davor, den Kopf unter Wasser getaucht zu bekommen.
Kir unterdrückte die Übelkeit, die in ihr aufstieg.
»Aber es hat nicht aufgehört, stimmt’s?«
Blackie presste die Lippen aufeinander.
»Der Hirnschaden hat es nur noch schlimmer gemacht. Für Vater war das ne harte Nuss, das zu vertuschen.«
Genau, das war auch das Wichtigste, dachte sie. Das Allerwichtigste. Niemand sollte den Verdacht hegen, dass in der Familie Røjel etwas nicht stimmte. Und schon gar nicht Hannibal, der Bruder ihres Vaters und ewiger Konkurrent. Hannibal, der selbst keine Familie gehabt hatte und das vermeintliche Familienglück seines Bruders ins Gesicht geschmiert bekommen hatte, damit er sah, was ihm entging. Das erklärte auch die Verbitterung ihres Vaters, als sie Hannibals Gesellschaft bevorzugte.
Blackie hob ruckartig den Kopf. In seinen Bewegungen ähnelte er seinem Vater, hatte aber dessen schlanken Körperbau nicht geerbt. Bei ihm hatte sich die kräftige Statur ihrer Mutter in maskuline Stärke übertragen. Tomas hingegen war so schlank wie sein Vater, aber damit hörte die Ähnlichkeit schon auf. Oder etwa doch nicht? Woher kam das Böse?
Familie, dachte Kir. Der Untergang der Familie. Darum ging es hier. Die endgültige Vernichtung. Die Konstruktion schwankte schon lange, aber jetzt stürzten die Fundamente ein. Sie fühlte sich besiegt. Bezwungen vom Schicksal, von der Zeit, von ihren eigenen Erwartungen und Fehleinschätzungen. Sie starrte aufs Meer hinaus.
»Dir geht es nicht um die Tiere, dir geht es nur ums Geld«, sagte sie.
»Es geht um ein schönes Leben«, antwortete er. »Um ein unabhängiges Leben.«
»Und dafür benutzt du Tomas und seine kranken Methoden. Und das, obwohl du sagst, dass es so nicht weitergehen konnte. Dabei hast du ihn ins Wasser gestoßen.«
Sie starrte ihren Bruder an.
»Du hast dich so verändert. Du bist kaputter und kranker als Tomas.«
Blackie lächelte, aber es war ein wütendes Lächeln.
»Niemand kann Tomas ändern. Also kann ich diese Seite von ihm genauso gut nutzen, damit was Konstruktives dabei herauskommt«, sagte er. »Du weißt, dass ich ihn zu allem bringen kann. Und ja, er hat mir mit seinen besonderen Talenten assistiert. Das
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